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Kulturszene deponiert habe“, das Ziel sei, die österreichische Kultur „im Aus-
land adäquater als bisher“ zu repräsentieren: „Daraus hat sich zunächst eine
kleinere, der etablierten Kultur verpflichtete Gruppe entwickelt. […] Von ‚oben‘
will man im Sinne der sozialistischen Kulturpolitik keinen Einfluß nehmen“, gab
das Kanzleramt85 bekannt. Franz Schuh richtete im Namen der Grazer Autoren-
versammlung (GAV) eine Anfrage an SPÖ-Nationalratsabgeordneten Heinz
Fischer, in der er kritisiert, dass die GAV
von der Gründung der Nationalstiftung […] nur aus Zeitungsmeldungen erfahren
[habe]. Aus den Zeitungen wissen wir folgendes: Es hat sich ein Gründungskomi-
tee für die Nationalstiftung unter der Leitung von Prof.
Ernst Haeussermann gebil-
det. Diesem Komitee gehören an: Dr.
Wolfgang Kraus, Dr.
Marcel Prawy, Dr.
Otto
Schulmeister, Gerd Bacher und andere Persönlichkeiten, die uns nicht bekannt
sind. Zweck der Nationalstiftung soll die Finanzierung kultureller Projekte sein
und die Vergabe eines nationalen österreichischen Kulturpreises. Die Aktivitäten
dieses Komitees stehen, wie es heißt, unter dem Schutz des Bundeskanzlers. Aus
der personellen Zusammensetzung aber und daraus, daß die Gründung fast im
Geheimen vorbereitet wird, schließen wir, daß die Nationalstiftung keinesfalls als
eine repräsentative, alle Strömungen umfassende Stiftung geplant zu werden
scheint.86
Schuh richtete auch eine Anfrage an Rudolf Henz, den Präsidenten des Öster-
reichischen Kunstsenats, wobei er die Befürchtung äußerte, dass mit einem sol-
chen „Projekt nur die bestehenden machtstrukturen [sic] verewigt werden“87
sollten. Henz selbst hatte ebenfalls „zum ersten Mal aus der Zeitung über dieses
Projekt erfahren“88 und wollte bei Haeussermann protestieren.
Die von Kreisky angeregte Nationalstiftung ging auf Konzepte zurück, die
unter Bundeskanzler Josef Klaus in den 1960er Jahren entwickelt worden waren,
womit Österreich ein „weitgehend unbürokratisches Instrument“ bekommen
habe, um „vor allem mit der künstlerischen und intellektuellen Emigration Kon-
takte“ herzustellen, deren „materielle Sorgen zu lindern und Nachlässe sowie
Archive aufzukaufen“.89 Dazu Klaus: „Eine Österreichische Nationalstiftung
85 N.
N.: Autorenversammlung gegen Kulturstiftung. In: Arbeiter-Zeitung, 15.
Jänner 1980, S. 10.
86 Franz Schuh an Heinz Fischer, Klub der SPÖ-Abgeordneten, Parlament, 17. Jänner 1980,
GAV-Archiv, Box 314/B48–314/B85, Mappe 314/B 57–62.
87 Franz Schuh an Rudolf Henz, 12. Jänner 1980, Literaturarchiv der österreichischen National-
bibliothek, Teilarchiv des Österreichischen Kunstsenats, 407/12, Mappe „Österreichische Nati-
onalstiftung 1980“ [im Folgenden als TA-ÖK zitiert].
88 Rudolf Henz an Franz Schuh, 16. Jänner 1980, TA-ÖK.
89 Robert Kriechbaumer: Die Ära Josef Klaus. Österreich in den „kurzen“ sechziger Jahren. Bd.
2: Aus der Sicht der Zeitgenossen. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1999, S. 273.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
316 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437