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Einleitung 17
of Exiles“ )5 – gegen das in tiefste Barbarei und Inhumanität zurückgefallene Europa zu
verteidigen.
Tatsächlich waren die während der Kriegsjahre in den Vereinigten Staaten entwickelten
Umerziehungs-Konzepte für die Nachkriegszeit unmittelbarer Ausdruck einer tiefgehen-
den inneramerikanische Verunsicherung angesichts der Bedrohung durch das nationalsozia-
listische Deutschland und seine Verbündeten. Die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung
mit den Ursachen und Folgen totalitärer Herrschaft sowie mit den diametral entgegenge-
setzten Grundlagen der eigenen demokratischen Gesellschaftsordnung hatte eine breitan-
gelegte nationale Bildungsdiskussion zur Folge , die sowohl hinsichtlich ihres Umfangs als
auch hinsichtlich ihrer inhaltlichen Substanz eine historische Besonderheit darstellt.
Obwohl es bereits im 19. Jahrhundert zu nationalen Bildungsdebatten mit nachfolgen-
den Reformen gekommen war
– allerdings hauptsächlich im Gefolge verlorener Kriege6
–,
und nach dem Ersten Weltkrieg mitunter staatliche Rekonsktruktionsmaßnahmen auf
bildungspolitischer Ebene gesetzt wurden ,7 stellt die US-amerikanische „Education for
Victory“-Bewegung ein Novum dar. Nie zuvor – und wohl auch nicht danach – hat sich
strophe , die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl
verweilen , die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese
her , der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist , daß der Engel sie nicht mehr schließen kann.
Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft , der er den Rücken kehrt , während der Trümmerhau-
fen vor ihm zum Himmel wächst. Das , was wir den Fortschritt nennen , ist dieser Sturm.“ Walter Benjamin ,
Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze , Frankfurt a. Main 1981 , 82.
5 Rob Kroes verweist in seiner Interpretation der „national destiny“ Amerikas auf die ( in Wandlung begrif-
fene ) symbolische Verheißung einer Zukunft auf Basis der Werte von Demokratie und republikanischem
System : „The Statue of Liberty , a French gift to the United States , was meant to express such underlying
affinities. The statue represented the American goddess Columbia , facing Europe and holding up her torch
in a symbolic gesture of ‚liberté éclairant le monde‘ ( freedom illuminating the world ). It was only later , in
a characteristic act of recontextualization , that Americans came to conceive of the statue as the ‚Mother
of Exiles‘. It changed the reading of the message that Columbia carried. No longer did her forward stride
express the rolling frontier of freedom washing across the globe ; she was now seen as standing beside the
‚Golden Door‘ , a keeper of the gate to freedom found only inside it. She is reminiscent of a sentry at a border
hedging off America as a refuge from a world beyond redemption.“ Rob Kroes , Rob : Them and us. Que-
stions of citizenship in a globalizing world , Urbana 2000 , 15.
6 So war etwa die Bildungsreform Preußens ab 1810 Folge der Kriegsniederlage gegen das napoleonische
Frankreich , die Intensivierung der dänischen Heimvolkshochschulbewegung nach 1864 u. a. stimuliert
durch die Niederlage im Deutsch-Dänischen Krieg und den Verlust Schleswig-Holsteins , das österrei-
chische Reichsvolksschulgesetz 1869 späte Reaktion auf die Niederlage gegen Preußen in Königgrätz und
der Ausbau der spanischen University Extension unmittelbare Folge der Niederlage im Spanisch-Ameri-
kanischen Krieg 1898. Vgl. Barry J. Hake / Tom Steele / Alejandro Tiana ( Eds. ), Masters , Missionaries and
Militants. Studies of Social Movements and Popular Adult Education 1890–1939 , Leeds 1996.
7 Zu den auf den Ersten Weltkrieg folgenden Reformen im Erziehungs- und Bildungswesen der Sieger-
mächte Frankreich , Großbritannien , Russland und USA siehe : Walter M. Kotschnig , Slaves Need No
Leaders. An Answer to the Facist Challenge to Education , New York 1943 , 3 ff.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741