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Einleitung18
eine ganze Nation
– mit Einschränkungen auch Großbritannien8
–, noch dazu in direkter
Involvierung in Kriegsgeschehnisse , derart intensiv in eine erziehungs- und bildungspoliti-
sche Debatte vertieft , die sich auf alle gesellschaftlichen , militärischen , geheimdienstlichen
Bereiche und Einrichtungen und auf alle Bildungs- , Wissenschafts- und Forschungsin-
stitutionen erstreckte ; in dieser Debatte wurden nicht nur Erziehung und Bildung als
zentrale demokratiepolitische Säulen des amerikanischen Gemeinwesens fixiert , sondern
darüber hinaus als direkte Folge noch während der Kriegsjahre bildungspolitische Refor-
men durchgeführt.
Der parallel zu dieser öffentlichen Bildungsdebatte geführte Experten-Diskurs beschäf-
tigte sich auf Basis unterschiedlicher disziplinärer Zugänge mit der Frage , inwiefern bezie-
hungsweise in welcher Form die durch die NS-Rassenideologie indoktrinierten , kulturell
„pervertierten“ Menschen nach dem Krieg geistig-mental „rekulturalisiert“ werden könnten.
Motiviert war diese Überlegungen unter anderem auch dadurch , im Unterschied zur fehl-
geschlagenen Friedenssicherung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges , diesmal nicht nur
den Krieg , sondern auch den Frieden nachhaltig zu gewinnen.
Die von den Siegermächten – je unterschiedlich – durchgeführten Reeducation-Akti-
vitäten9 stellen ein historisch einzigartiges Experiment dar , da erstmals in der Geschichte
eine militärische Kapitulation mit einem großangelegten erzieherischen und sozialpsycho-
logischen Programm zur mentalen Abrüstung ( „mental disarmament“ ) junktimiert wurde.
Mit der alliierten Niederwerfung von Nationalsozialismus und Faschismus sahen sich die
Vereinigten Staaten somit auch in moralischer und ethischer Hinsicht als siegreiche Kul-
turnation mit zentraler Verantwortung für die zukünftige demokratische Entwicklung –
ein Prozess , der durch Frieden , politische Zusammenarbeit und wirtschaftliche Koopera-
tion geprägt sein sollte.
8 Immerhin wurde auch in England eine , wenn auch keineswegs vergleichbar breite , Reeducation-Diskus-
sion geführt , gab es Kontakte zu amerikanischen Bildungsinstitutionen und wurde 1944 mit dem „Educa-
tion Act“ ein eigenes Reformgesetz für Sekundarschulen beschlossen , das insbesondere die Mobilisierung
der Arbeiterschicht zum Ziel hatte. Vgl. Harold Collet Dent , The Education Act , 1944. Provisions , regula-
tions , circulars , later acts , London 1960 , 11 ff.
9 Die Fachliteratur zu den alliierten Reeducation-Maßnahmen ist im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte
durch quellenbasierte Monografien , Detailstudien und zunehmend auch akademische Abschlussarbeiten
erheblich angewachsen. Durch die Erweiterung der Forschungsperspektive auf Prozesse des Kultur- und
Wissenschaftstransfers bzw. der Kulturdiplomatie hat sich dieser Bereich der „Cold War Studies“ zudem
sowohl in methodischer als auch in disziplinärer Hinsicht zu einem weitverzweigten Forschungsbereich
entwickelt , was einen Literaturbericht unter anderem auch deshalb schwierig macht , da es nach wie vor
keine einschlägigen Monografien gibt , die eine Bilanz des bisherigen Forschungsstandes erlauben. Eine ,
wenn auch keineswegs mehr rezente Ausnahme bildet das Standardwerk von Manfred Heinemann , das
Auskunft zu den unterschiedlichen Reeducation-Ansätzen der Alliierten in Deutschland und Österreich
gibt : Manfred Heinemann ( Hrsg. ), Umerziehung und Wiederaufbau. Mit einem Vorwort von Manfred
Heinemann und einer Einleitung von Wilhelm Roeßler (= Veröffentlichung der Historischen Kommission
der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft , Bd. 5 ), Stuttgart 1981.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741