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Spiegelung : Anmerkungen zum Bild Deutschlandsund Österreichs
allem Kraut und Kohl gezogen wurden.216 Das Bild der grobknochig-bodenständigen , Bier
trinkenden und Sauerkraut und Speck verzehrenden Deutsch-Amerikaner217 modifizierte
sich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich durch Eindrücke , die „Graduierte aus
Neuengland aus den deutschen Reformuniversitäten heimbrachten“,218 wobei auch hier
noch das Klischee verzopft-schwerfälliger deutscher Gelehrtheit dominierte. Als aber im
Gefolge des amerikanischen Bildungsbooms im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine
Reihe neuer Colleges und Universitäten gegründet wurden , studierten bis 1900 schließlich
rund 9. 000 Amerikaner an deutschen Universitäten – so etwa der gesamte Lehrkörper
der Johns Hopkins Universität in Baltimore219 –, wodurch sich , auf der Basis einer Viel-
zahl individueller Bildungserlebnisse und germanophiler Erfahrungsberichte , das Ansehen
Deutschlands als „Land der Denker“ und die Reputation des deutschen Kaiserreichs als
„Heimat der Wissenschaft“ zu verfestigen begann.220 So meinte etwa der amerikanische
Schriftsteller Ralph Waldo Emerson , „daß die Deutschen eine geistige Integrität besitzen ,
welche ihre Wissenschaft über die aller anderen erhebt.“221
Hinzu kommt , dass die deutschen Einwanderer in den USA am rapiden Aufstieg Ame-
rikas zu einer gigantischen Industrienation als fleißig-sparsame und erfolgreiche Hand-
werker , verlässliche Ingenieure und fallweise auch als Erfinder durchaus Anteil hatten ,222
wenn auch nur wenige deutschstämmige Amerikaner , wie Johann Jacob Astor , John D.
Rockefeller oder George Westinghouse zu großem Vermögen und Einfluss gelangten.223
Vereinzelt erfolgreiche österreich-stämmige US-Amerikaner wie etwa John Daniel Hertz ,
der Gründer von Hertz-Rent-A-Car , der obendrein das „Yellow Cab“-Taxi-System be-
gründete , sind wohl selbst in Österreich heute nicht als Ex-Landsmänner bekannt.224
Trotz so manch puritanischer Erregung über die laute Trink- und Geselligkeitskultur der
Deutschen just auch an Sonntagen , ihrer argwöhnisch beäugten Neigung zur Vereinsmei-
erei sowie ihrer Vorliebe für uniformierte Paraden , zum Beispiel in Form von Schützenver-
216 Zacharasiewicz , Das Deutschlandbild in der amerikanischen Literatur , a. a. O., 19 f.
217 Vgl. Christine M. Totten , Deutschland – Soll und Haben. Amerikas Deutschlandbild , München 1964 ,
26 ff.
218 Ebd., 22.
219 Mollin , Amerikanische Spiegelungen – das Deutschlandbild in den USA , a. a. O., 87 ; vgl. auch : Stefan
Paulus , Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945–1976 (= Studien
zur Zeitgeschichte. Hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte , Bd. 81 ), München 2011 , 36.
220 Mollin , Amerikanische Spiegelungen – das Deutschlandbild in den USA , a. a. O., 87.
221 Ebd.
222 So z. B. der aus Braunschweig stammende Klavier- und Orgelbauer Heinrich Steinweg , der 1850 nach New
York ausgewandert war und hier die höchst erfolgreiche Firma „Steinway and Sons“ gründete. Vgl. Totten ,
Deutschland – Soll und Haben. Amerikas Deutschlandbild , a. a. O., 34.
223 Mollin , Amerikanische Spiegelungen – das Deutschlandbild in den USA , a. a. O., 87.
224 Zudem wurde John Daniel Hertz ( 1879–1961 ) im ungarischen Ruttka , heute Vrútky , auf dem Gebiet der
heutigen Slowakei geboren. Siehe : Spaulding , Quiet Invaders , a. a. O., 166.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741