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Spiegelung : Anmerkungen zum Bild Deutschlandsund Österreichs
erwähnte Charles Sealsfield243 in seinem 1828 erschienenen Buch „Austria as it is“. Darin
charakterisierte Sealsfield die von der k. k. Studienhofkommission ausgearbeiteten Studie-
nunterlagen , an die sich alle Professoren
– allesamt von „Amts wegen Spione“244
– penibel
zu halten hätten , als die „kläglichsten und dümmsten , welche jemals die Druckerpresse
verlassen haben“.245
Des Weiteren würden die „klägliche Unwissenheit , Kriecherei und Beschränktheit der ös-
terreichischen Staatsbeamten und Offiziere“ im Verein mit den „schwerfällig arbeitenden Zi-
vilbeamten“ in ihrer Unfähigkeit für eine Finanzverwaltung den Staatshaushalt in den Ban-
krott treiben.246 In jedem Amt säßen „unter den Räten und Kanzlisten meistens zwei Spione ,
welche mit dem Präsidenten der k. k. Obersten Polizei- und Zensurhofstelle in Wien oder
mit dem Kaiser selbst in Verbindung stehen.“247 Der Nachrichtendienst würde gleichsam
das gesamte Kaiserreich umspannen – dieser reiche „in die Hütte des Bauern , in die Woh-
nung des Bürgers , in die Gaststube des Wirts und in das Schloß des Adeligen. Kein Ort ist
vor den Horchern des Kaisers sicher.“248 Die Volksbildung würde durch die österreichische
Regierung vollständig unterbunden und bezüglich des Umgangs mit Kunst- und Kulturgü-
tern in der Reichsmetropole merkte Sealsfield in solider Kenntnis gängiger Praktiken an :
„Vergeblich aber würde man in Wien einen richtigen Sinn für die dort aufgehäuften Schätze ,
eine Liebe zu Kunst und Wissenschaft , oder Achtung vor hervorragenden Talenten suchen.
Die Kunstschätze und Bibliotheken werden als Prunkstücke und nichts anderes behandelt.
Selbst hervorragende Schriftsteller , wie Gentz und Schlegel , werden hier besoldet ,
– weniger
um zu schreiben , als um nicht zu schreiben. Sie gelten sozusagen als geistige oder literarische
Handelsleute.“249
Ähnliche Aussagen in Bezug auf den Zustand von Wissenschaft und Bildung im Metter-
nichschen Österreich traf der irische Augenarzt und Sozialreformer William Robert Wil-
lis Wilde im Jahr 1842 in seinem detaillierten Studienbericht , der der US-amerikanischen
Öffentlichkeit wohl ebenfalls kaum verborgen geblieben sein dürfte.250 Darin fasste der
Vater Oscar Wildes seine anlässlich einer Studienreise 1840 angestellten Beobachtungen
243 Zu Leben und Werk von Karl Postl ( 1793–1864 ) siehe : Eduard Castle , Der große Unbekannte. Das Le-
ben von Ch. Sealsfield – C. Postl. Briefe und Aktenstücke , Wien 1955.
244 Sealsfield , Österreich , wie es ist , a. a. O., 58.
245 Ebd., 57.
246 Ebd., 60.
247 Ebd., 59.
248 Ebd., 91.
249 Ebd., 139.
250 William R. Wilde , Austria : Its Literary , Scientific and Medical Institutions with Notes upon the Present
State of Science and a Guide to the Hospitals and Sanatory Establishments of Vienna , Dublin 1843. In :
Irene Montjoye ( Hrsg. ), Oscar Wildes Vater über Metternichs Österreich , Frankfurt a. Main 1989.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741