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NS-Feindbild Amerika : Antiamerikanismus
legten europäischen Monroe-Doktrin ,320 für das deutsche Volk im neuen „Lebensraum
im Osten“ entfalten.
Flankierend dazu sah Hitler , wie sein vertrauter Amerika-Berater Colin Ross321 1936
in seinem Buch „Unser Amerika“322 darlegte , in den ausgewanderten Deutschen – ins-
besondere in den rund sieben Millionen Deutsch-Amerikanern der ersten und zweiten
Generation323 – ein unterschätztes politisches Potenzial , an dem sich arische Missionie-
rungs- und Befreiungsphantasien entzündeten. Nicht zuletzt wegen der Vorstellung von
der „Bestimmung des deutschen Bluts in Amerika“– deutsche Schulbücher sprachen von
„Amerika , ein ausgewandertes Europa“324 – erhofften die Auslandsabteilungen der NS-
Propaganda in den USA , ihre in Amerika geborenen Volksgenossen zum „Glauben an Volk
und Führer“325 zurückzuführen
– allerdings völlig vergeblich.
Mit dem wirtschaftlichen Einbruch der USA nach dem Börsenkrach , der darauf fol-
genden Finanzkrise , der zunehmenden Arbeitslosigkeit , den Streikunruhen , der ver-
mehrten Aktivität kommunistisch-gewerkschaftlicher Organisationen , wie das in dras-
tisch-ironischer Weise bereits 1929 Egon Erwin Kisch326 und dann 1932 A. E. Johann
[ alias Alfred Wollschlaeger ] in seinem Buch „Amerika. Untergang am Überfluss“327 zur
320 So verkündete Hitler in seiner Reichstagsrede vom 28. April 1939 die „europäische Monroe-Doktrin“ als
„Interventionsverbot für raumfremde Mächte“. Siehe : Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 296.
321 Colin Ross ( 1885–1945 ) war in der Zwischenkriegszeit neben Egon Erwin Kisch einer der bekanntesten
deutschen Reisejournalisten. Er veröffentlichte über zwanzig , teilweise in zahlreichen Auflagen publizierte
Reisebücher , die sich mit der kolonialen Welt von der Kongomündung bis Shanghai beschäftigten. Ross
war Nachrichtendienst-Offizier im Ersten Weltkrieg , „kurzfristig Hauptakteur in der Novemberrevolution
von 1918 , Propagandist der deutschen Republik in Südamerika und schließlich des „Dritten Reiches“ in
den USA“. Wie Bodo-Michael Baumunk hervorstreicht , blieb Ross auch als Weltreisender im Grunde „Of-
fizier in Aufklärungsmission , der für seine Erkundungsfahrten meist den Segen staatlicher Mächte suchte.“
Die Erfahrungen und Erlebnisse seiner Weltreise 1923 / 24 brachte er in dem Film „Mit dem Kurbelkasten
um die Erde“ zur Ansicht , worin er sich überzeugt gab vom baldigen Aufstieg des „pazifischen Raumes“
und dem nahenden Ende der europäischen Kolonialherrschaft in Asien. Vgl. Bodo-Michael Baumunk , Ein
Pfadfinder der „Geopolitik“ – Colin Ross und seine Reisefilme. In : Jörg Schöning ( Red. ), Triviale Tropen.
Exotische Reise- und Abenteuerfilme aus Deutschland 1919–1939 , München 1997 , 85–94.
322 Colin Ross , Unser Amerika. Der Deutsche Anteil an den Vereinigten Staaten , Leipzig 1936. Das Buch
wurde mit Unterstützung des NS-Propagandaministeriums anschließend ins Englische übersetzt. Vgl.
Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 110.
323 In Summe existierten im Amerika der Dreißigerjahre rund 20 Millionen Amerikaner deutscher Abstam-
mung. Vgl. Klaus Klipphahn , Deutsche Propaganda in den Vereinigten Staaten 1933–1941 (= Beiheft
zum Jahrbuch für Amerikastudien , 31. Heft ), Heidelberg 1971 , 22 , 52.
324 Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 135.
325 Klipphahn , Deutsche Propaganda in den Vereinigten Staaten 1933–1941 , a. a. O., 23 , 54 ff. Von den rund
sieben Millionen Deutsch-Amerikanern lasen noch ein Viertel eine der 178 deutschsprachigen Blätter in
den USA. Von diesen waren ca. 12 unverhüllt pro-nationalsozialistisch , drei Dutzend lehnten Hitler und
den Nationalsozialismus ab. Ebd., 52.
326 Egon Erwin Kisch , Paradies Amerika , Berlin 1929 , 248 ff.
327 A. E. Johann [ Alfred Wollschlaeger ] , Amerika. Untergang am Überfluss , Berlin 1932.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741