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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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Darstellung brachten , schien sich das NS-Amerikabild Mitte der Dreißigerjahre kurz-
fristig etwas zu modifizieren. Das Gefühl der Unterlegenheit gegenüber den leicht ange-
schlagenen USA nahm ab , es machte sich nun im Gegenteil ein systemischer Überlegen-
heitsdünkel breit.328 Anders als der „New Deal“ Roosevelts wäre der Nationalsozialismus
tatsächlich erfolgreich im Kampf gegen die Schattenseiten der Moderne , in der Lösung
der sozialen Frage , in der Bekämpfung der „kommunistischen Gefahr“ und darüber hi-
naus in der Lage , die Monumentalität Amerikas zu übertreffen , letztlich sogar selbst
Weltmacht zur werden.329
Dem Kultur-Kampf gegen Amerika verschrieben sich – neben dem im März 1933 ge-
schaffenen „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ unter Joseph Goe-
bbels
– insbesondere auch der NS-Chefideologe Alfred Rosenberg als Leiter des von ihm
geschaffenen „Kampfbunds für deutsche Kultur“330 und als „Hauptschriftleiter“ des Völ-
kischen Beobachters. Das NSDAP-Parteiorgan mobilisierte dazu bereits 1930 alle Negativ-
Klischees und Feindbilder gegen die „Unkultur Amerikas“.331 Der Antisemitismus bildete
ab 1933 ebenso wie bald darauf die „Bolschewismusfurcht“ – der Kampf gegen den Libe-
ralismus als „Brutstätte bolschewistischer Agitation“ – den festen Bestandteil der Anti-
Amerika-Propaganda.332
Worauf die NS-Propaganda gegenüber den USA besonderes Augenmerk richten sollte ,
vermeinte Hitler im Rekurs auf die quasi vorbildhafte Kriegspropaganda Amerikas wäh-
rend des Ersten Weltkriegs auszumachen :
„Es war zum Beispiel grundfalsch , den Gegner lächerlich zu machen , wie dies die österrei-
chische und deutsche Witzblattpropaganda vor allem besorgte. Grundfalsch deshalb , weil
das Zusammentreffen in der Wirklichkeit dem Manne vom Gegner sofort einen ganz ande-
re Überzeugung beibringen mußte , etwas , was sich dann auf das fürchterlichste rächte [ … ].
Demgegenüber war die Kriegspropaganda der Engländer und Amerikaner psychologisch richtig. In-
dem sie dem eigenen Volke den Deutschen als Barbaren und Hunnen vorstellte , bereitete sie den ein-
zelnen Soldaten schon auf die Schrecken des Krieges vor und half so mit , ihn vor Enttäuschungen
328 So fokussierte ab 1934 insbesondere auch der Völkische Beobachter auf Obdachlosigkeit , Not , Hungerelend ,
Arbeitslosigkeit und Kriminalität in US-Amerika. Vgl. dazu Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O.,
225.
329 So plante Hitler – einmal abgesehen von der Schaffung des „Großraum[ s ] Europa“ – in Hamburg Wol-
kenkratzer „von der gleichen Gewalt der amerikanischen“; Goebbels wollte zudem in Babelsberg Holly-
wood übertreffen. Zit. nach : Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 180.
330 In seinem „Kampf gegen die Zerstörung der Grundlagen unserer Kultur“ richtete sich der Kampfbund ,
zu dessen Mitgliedern u. a. auch Winifred Wagner gehörte , insbesondere gegen Jazz. Siehe dazu : Gassert ,
Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 67.
331 Vgl. Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O., 101 ; weiters : Wagnleitner , Coca-Colonisation , a. a. O., 35.
332 Gassert , Amerika im Dritten Reich , a. a. O.,199 , 231.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741