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2. „Education for Victory“
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Ein erster „Basic Plan for Public Relations“ war bereits unmittelbar nach Kriegsausbruch
vom „Joint Army-Navy Board“ vorgelegt worden. Im Juni 1940 wurde dem Weißen Haus
ein weiterer Plan präsentiert , „to maintain nationale morale by the adequate presentation of
the aims , views and progress of the nation“.441 Beide Pläne fanden zunächst keine unmittel-
bare Unterstützung von Präsident Roosevelt , der in dieser Angelegenheit vorsichtig agierte ,
um sich nicht dem öffentlichen Vorwurf Wilsonscher „Kriegspropaganda“ auszusetzen.442
Nachdem die amerikanische Außenpolitik im März 1941 mit der Genehmigung des
„Lend-Lease Act“ durch den US-Kongress durch Finanz- und Waffenhilfe an Großbri-
tannien jedoch von der bisherigen isolationistischen Neutralität deutlich abgerückt war ,
verwies Vizepräsident Henry Wallace gegenüber Roosevelt auf die dringende Notwendig-
keit „[ of doing ] everything possible to create a national morale which will make 99 % of our
people work to the limit for the cause of increased production.“443
Nachdem auch Kriegsminister Henry L. Stimson in einer Kabinettsitzung die Ein-
richtung einer „morale agency“ moniert hatte , kam es , nach einigen Differenzen hinsicht-
lich der Frage , inwieweit eine harte oder eine weiche Propaganda bevorzugt werden sol-
le ,444 im Mai 1941 unter Leitung des New Yorker Bürgermeisters Fiorello La Guardia
schließlich zur Einrichtung des „Office of Civilian Defense“ ( OCD ).445 Die Arbeit dieser
Einrichtung , deren Aufgaben nur unklar formuliert waren , verlief aber in hohem Maße
unbefriedigend , zumal La Guardia Propagandaagenden kaum wahrnahm und sich weit-
gehend auf den Zivilschutz beschränkte. Daher schlug er Roosevelt die Einrichtung einer
eigenen Propagandaabteilung innerhalb des OCD vor , die , gegliedert in drei Einheiten ,
als „Bureau of Facts and Figures“ arbeiten solle. Das Ergebnis dieser Gespräche war , dass
Roosevelt dem OCD die Propagandafunktion entzog und im Oktober 1941 unter dem
Titel „Office of Facts and Figures“ ( OFF )446 eine direkt dem Präsidenten unterstellte
Organisation des Pentagons unter Leitung des ehemaligen Bibliothekars der Library of
Congress in Washington D.C. und herausragenden amerikanischen Intellektuellen , Ar-
randum on the Regulation of Subversive Activities“ sollte ein siebenköpfiges Komitee , bestehend aus
Vertretern der amerikanischen Staaten , Maßnahmen gegen anti-demokratische Aktivitäten in Amerika
und Lateinamerika koordinieren. Vgl. Ruth D. Master , Handbook of International Organizations in the
Americas [ Carnegie Endowment for International Peace ] , Washington D.C. 1945 , 67 ff.
441 Steele , Preparing the Public für War , a. a. O., 1641 f.
442 Ebd., 1642.
443 Ebd., 1644.
444 In den Diskussionen innerhalb der präsidentialen Planungsgruppe vertrat insbesondere Henry Wallace
eine harte Position , indem er für eine Informationspolitik analog zur NS-Propaganda eintrat , dabei aber
auf den Widerstand seitens Harold Smith und John J. McCloy stieß ; letzterer hatte die Goebbelsche Pro-
paganda in Deutschland selbst erlebt. Vgl. Steele , Preparing the Public für War , a. a. O., 1646.
445 Ebd., 1648.
446 Allan M. Winkler , The Politics of Propaganda. The Office of War Information , 1942–1945. 2. Aufl., New
Haven – London 1979 , 22 f. ; siehe weiters : Philip S. Broughton , Government Agencies and the Civilian
Morale. In : The Annals of the American Society of Political and Social Science , CCXX , 1942 , 168–177.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741