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2. „Education for Victory“
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globalen Verantwortung Amerikas für die Verteidigung von Demokratie und menschlicher
Freiheit nicht nur gerecht zu werden , sondern vermittels der „Education in Wartime“501
auch jene Energien und Ressourcen freizusetzen , die angesichts der ungeheuren militä-
risch-ideologischen Bedrohung durch den Nationalsozialismus für einen Sieg nötig wären :
„The first necessity in the development of such a program is the achievement of a clear un-
derstanding of the nature of democracy and a clear perception of the values at stake. Only
when this has been done can free men be expected to throw their energies without reserve
into the struggle.“502
Im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Vorbereitung der amerikanischen Öf-
fentlichkeit auf einen möglicherweise bevorstehenden Krieg ging es also keineswegs nur
um die politische Unterstützung einer interventionistischen Außenpolitik gegenüber den
Achsenmächten , oder darum , mit den Verbündeten der „Anti-Hitler-Koalition“503 einen
Krieg zu führen und auch zu gewinnen , sondern zwecks totaler Kräftemobilisierung
– an-
ders als im Fall des faschistischen „credere-obbedire-combattere“-Prinzips – auch darum ,
genau zu wissen , weshalb man diesen führt. Die Nation müsse geeint und das Prinzip der
„free men“, so der generelle Tenor , in jedem amerikanischen Staatsbürger , insbesondere in
jedem Soldaten , verkörpert und präsent sein.
Dass die massiven , kriegsbedingten Veränderungen des gesamten amerikanischen Bil-
dungswesens , insbesondere die sukzessive Militarisierung – „total training program for
a total war“504 – nach dem Überfall auf Pearl Harbour , wie das der US-Schulhistoriker
Gerard Giordano darlegte , primär im zunehmenden Einfluss und politischen Erfolg kon-
servativer , republikanischer Erzieher ( „educators“ ) ihre Ursache hätten ,505 greift meines
Erachtens zu kurz , und zwar schon allein deshalb , weil die pluralen , in sich zum Teil he-
terogenen Begründungselemente der „Wartime Education“ auf basalen Grundannahmen
amerikanischer Bildungsphilosophie beruhten. Darüber hinaus wurden , sozusagen quer
durch die politischen Lager
– die allerdings , wie auch Giordano konstatiert , bald allesamt
auf einen „total defense“-Kurs einschwenkten506
– Maßnahmen wie etwa die Umwandlung
501 Vgl. The Support of Education in Wartime ( Educational Policies Commission , National Education Asso-
ciation of the United States and the American Association of School Administrators ), Washington D.C.
1942.
502 Ebd., 30.
503 Vgl. Rudolf Riemer , Die Anti-Hitler-Koalition ( Ost-Kurier. Informationen – Analysen – Berichte. Hrsg.
v. Studienzentrum für Ost-West-Probleme ), München o. J. [ 1985 ].
504 Vgl. W. W. Carpenter / A. G. Capps , A total training program for a total war. In : School and Society , Vol. 56 ,
1942 , 197–200.
505 Gerard Giordano , Wartime Schools. How World War II Changed American Education (= History of
Schools & Schooling , Vol. 34 ), New York – Washington D.C. 2004 , xxii ff.
506 Selbst das „New York City’s Teacher College“, eine Einrichtung , deren Leitung eine prononciert liberale
Position vertrat , sponserte bereits 1941 unter dem Titel „Schools and the Defense“ ein „prewar sympo-
sium on teacher-centered defense activities“. Siehe Giordano , Wartime Schools , a. a. O., 5.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741