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2. „Education for Victory“
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selbst dem „Trübsten“ ( „dim-witted“ ) klar würde , „that freedom and democracy will bring
more of this world’s happiness to everyone , including the Germans , than will any other
political or economic scheme known“.643
Insbesondere die von Grayson N. Kefauver , dem Dekan der School of Education an
der Stanford University veröffentlichten Ergebnisse der bereits genannten Harper-Ferry
Konferenz zur Educational Reconstruction hatten eine Reihe kritischer Kommentare zur
Folge. Aufgrund der darin aufgelisteten Vorschläge für konkrete Maßnahmen nach dem
Kriegsende sahen einzelne Autoren eine „Educational Invasion“ bevorstehen und warnten
vor einem „Messianic Complex“644 gegenüber den Achsenmächten.
Wie bereits ein Jahr zuvor , anlässlich einer Konferenz des „American National Commit-
tees on Intellectual Co-operation“ 1942 in Havanna , wo europäische intellektuelle Emigrés
nach Meinung der beiden bekannten Pädagogen I. L. Kandel und Walter Maria Kotsch-
nig den kulturellen Wiederaufbau mit großen Worten , aber deutlich realitätsfremd dis-
kutiert hatten , sahen die beiden Autoren auch in der intensiven amerikanischen Debatte
Missverständnisse über die Ziele und Erfordernisse einer Demokratisierung des totalitä-
ren Europa nach Kriegsende vorliegen. Die Erziehung zu demokratischen Werten und
Idealen , der nötige Glaube ( „faith“ ) an die Demokratie , könne weder durch „Export“ von
Büchern , Curricula und Lehrpersonal allein noch durch die „Transplantation“ amerikani-
scher Methoden oder spezifisch amerikanischer „cultural environments“ gelingen , sondern
nur durch den langsamen Prozess einer gesellschaftlichen Neuorientierung entsprechend
der Erfordernisse und Bedürfnisse an Ort und Stelle. Angesichts des Umstandes , dass es
keinen Sinn machen würde , Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen ohne Rücksicht auf
die spezifischen Gegebenheiten zu diskutierten , entwarfen Kandel und Kotschnig für den
demokratischen Wiederaufbau ein globales Szenario dreier Einsatzgebiete : zum einen die
von Hitler-Deutschland besetzten Länder Europas , zum anderen die sogenannten „back-
ward countries“ und letztlich die Achsenmächte selbst. In den besetzten Ländern sollten
vor allem intellektuelle Exilanten die Führung des Wiederaufbaues übernehmen , wobei sich
die Vereinigten Staaten auf finanzielle Hilfe beschränkten sollten
– „providing the means of
education rather than education itself.“645 [ Kursivsetzung im Original ] In den „backward-
countries“ wäre ein langwieriger Aufbauprozess nötig , allerdings unterstützt durch externe
Berater und adäquate Führungskräfte. Und in den europäischen Terrorregimen selbst : Ob-
wohl beide Pädagogen die Auffassung vertraten , dass die Hauptaufgabe in diesem Fall in
der „Re-education“ bestünde , also in der Auslöschung der jahrelangen totalitären Konditi-
onierung , monierten sie : „re-education must come from within ; it cannot be imposed from
without , for as the story of education in the German Republic illustrates , the evils of mili-
643 Ebd.
644 I. L. Kandel / Walter M. Kotschnig , The Messianic Complex. In : School and Society , Vol. 57 , February 6 ,
1943 , No. 1467 , 156–158.
645 Kandel / Kotschnig , The Messianic Complex , a. a. O., 157.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741