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2. „Education for Victory“
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der fortlaufenden Diskussion wiederholt synonym verwendet mit „Reconstruction“, „Re-
habilitation“, „Reculturalization“ oder auch „Reorientation“; darin dokumentieren sich
terminologisch-inhaltliche Unschärfen , die sich sogar , wie noch zu zeigen sein wird , bis
ins „Handbook for Military Government Austria“ hinein fortsetzten.
Deutlicher als in der Debatte um die „Educational Reconstruction“ unter den Päda-
gogen – ihnen ging es neben dem formalen Aufbau eines demokratischen Bildungs- und
Erziehungswesens primär um die Initiierung kooperativ zu gestaltender , langfristiger in-
formeller ( Selbst- )Lernprozesse und um sozial verantwortliches Handeln in einer offenen
Gesellschaft – zielte die psychiatrisch-psychologische Reeducation auf De-Konditionie-
rungsprozesse beziehungsweise auf gezieltes Ver-Lernen spezifischer Verhaltensmuster :
“The German people must learn to un-learn all that they have been taught , not only by Hitler ,
but his predecessors in the last hundred years , by so many of their philosophers and teachers ,
the disciples of blood and iron.”712
Eine Diktion , die , nicht zuletzt durch die darin enthaltene Personifizierung des ‚Bösen‘ in
Form eines Kollektiv-Subjekts , für die Stärkung nationaler Moral geeignet war – in der
Öffentlichkeit ebenso wie in der US-Army. So meinte 1942 ein Militär in einem Interview
gegenüber der New York Times : „We must de-educate and re-educate [ the German and Ja-
panese , d. Verf. ] people for Democracy. [ … ] The one hope for Europe remains as a change
of mentality on the part of the German. He must be taught to give up the century-old
conception that his is the master race.“713
Tatsächlich kam es , wenn auch nur kurzfristig , bereits zu einem frühen Zeitpunkt zur
Zusammenarbeit von Psychologie und militärischem US-Geheimdienst. Aber obwohl die
„American Psychiatric Association“ 1941 / 42 ein eigenes „Military Mobilization Committee“
ins Leben rief , das sich speziell mit Fragen der „Morale and its control“714 beschäftigte ,
waren es dann eben nicht Psychiater , die hier einbezogen wurden , sondern primär Sozial-
psychologen , die zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz Emigrés waren. Obwohl die
ersten Anregungen zu einer mentalen „Reeducation“ von Seite der klinischen Psychiatrie
gesetzt wurden , schien sowohl für die Stärkung nationaler Moral und psychologischer Ge-
genpropaganda als auch für Konzepte einer gesellschaftlichen Mental-Therapie die inter-
disziplinär ausgerichtete Sozial- beziehungsweise Gruppenpsychologie das geeignetere In-
strument zu sein. Zudem bot sich für Verhaltenswissenschaft und Sozialpsychologie
– wie
712 Peter Matthews , The German people must learn to un-learn. In : Free Europe ( Fortnightly Reviev on inter-
national Affairs ), 1941 , No. 46 , 125. Zit. nach : Mowrer , Educational Considerations , a. a. O., 174.
713 Capt. L. D. Gammas , M. P. Interview in : New York Times , December 2 , 1942. Zit. nach : Ebd.
714 Military Mobilization Committee of the American Psychiatric Association , Psychiatric Aspects of Civi-
lian Moral , New York 1942. Vgl. Gerhardt , The Medical Meaning of Reeducation for Germany , a. a. O.,
144.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741