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„Our Country’s Call to Service“
Die meisten der psychologischen Forschungsarbeiten innerhalb der Geheimdienstabtei-
lungen waren eng auf pragmatisch-behavioristische Konzepte zugeschnitten und wieder-
holten – so Louise Hoffman – zumeist Standard-Stereotypen hinsichtlich des deutschen
Nationalcharakters. Der Einfluss dieser Arbeiten , die so gut wie nie von höheren Dienst-
stellen wahrgenommen wurden , auf reale Entscheidungsprozesse war denkbar gering.733
Psychologische Studien zur Evaluierung der „Nazi Mentality“ wurden im Auftrag des
OSS hauptsächlich von externen Konsulenten wie Erik Erikson , Walter C. Langer ( dem
Bruder des Leiters des R & B , William L. Langer ) oder Henry Murray verfasst. Die hier
präsentierten diagnostischen Ansätze zur psychologischen Erklärung des Nationalsozialis-
mus beziehungsweise zu Hitlers Persönlichkeit führten – trotz fallweiser rhetorisch über-
zogener und wenig tiefschürfender Pointen734 –, wie im Fall der psychologischen Hitler-
Studie von Walter C. Langer , an der unter anderem auch Ernst Kris735 mitgearbeitet hatte ,
zu differenzierten charakterologischen Analysen , in die auch historisch-diskursive Bezüge
einflossen.736 Vorschläge hinsichtlich der schwierigen Frage nach der „Reeducation“ nach
Kriegsende finden sich darin allerdings kaum. Nur Murray gab in seiner umfangreichen
Studie auch einige überaus interessante Hinweise bezüglich der zu bewerkstelligenden
„profound conversion of Germany’s attitude“:
“We must realize that we are dealing with a nation suffering from paranoid trends ; delusions of
grandeur ; delusions of persecution ; profound hatred of strong opponents and contempt of weak
opponents ; arrogance , suspiciousness and envy
– all of which has been built up as a reaction to
an age-old inferiority complex and a desire to be appreciated.”737 [ Kursivsetzung i. Orig., d. Verf. ]
733 Hoffman , American Psychologists and Wartime Research on Germany , a. a. O., 271.
734 So formulierte etwa Langer : „It was not only Hitler , the madman , who created German madness , but
German madness that created Hitler.“ Ebd., 267.
735 Ernst Walter Kris ( 1900–1957 ), Sohn eines Wiener Rechtsanwalts , Kunsthistoriker und Psychoanalytiker
sowie Kustos am Kunsthistorischen Museum in Wien , war nach dem „Anschluss“ über London schließ-
lich 1940 in die USA emigriert , wo er zunächst an der „University in Exile“, d.i an der „New School of So-
cial Research“ lehrte , später u. a. an den Universitäten Harvard und Yale. Siehe : International Biographi-
cal Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Vol. II / Part 1 : A-K , a. a. O., 665 f. ; siehe auch
Feichtinger , Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration
1933–1945 , a. a. O., 368 ff.
736 Walter C. Langer , A psychological Analysis of Adolph [ sic ] Hitler. His Life and Legend. With colla-
boration of Prof. Henry A. Murr ( Harvard Psychological Clinic ), Dr. Ernst Kris ( New School of So-
cial Research ), Dr. Bertram D. Lawin ( New York Psychoanalytic Institute ), Office of Strategic Ser-
vices , Washington D.C. 1943. Zit. nach : http://www.nizkor.org/hweb/people/h/hitler-adolf/oss-papers/
text/profile-index.html. Für den Hinweis auf die online verfügbare Studie danke ich Herrn Univ.-
Prof. DDr. Oliver Rathkolb.
737 Henry Murray , Analysis of the Personality of Adolph [ sic ] Hitler , October 1943 , 277 ff. Zit. nach : Hoff-
man , American Psychologists and Wartime Research on Germany , a. a. O., 269.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741