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2. „Education for Victory“
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Wie Franz Goldner in diesem Zusammenhang anmerkt , war für die „offenkundige Apathie
der öffentlichen Meinung Amerikas zur Frage des Verlustes und der möglichen Wiederher-
stellung der Unabhängigkeit Österreichs [ … ] unter anderem die Überzeugung“ maßgebend ,
dass hinsichtlich der dauerhaften politischen und wirtschaftlichen Krise der jungen Republik
„die Wiederherstellung eines neuen unabhängigen Österreich kein unbedingt politisch er-
strebenswertes Ziel“786 für die USA war. Österreichische Exilanten mussten daher mitunter
viel Energie darauf verwenden , nicht als Deutsche zu gelten.787 Nach Kriegseintritt der USA
1941 fielen kurzfristig auch als Deutsche registrierte Österreicher , die noch keine US-Staats-
bürgerschaft besaßen , in die Kategorie der „enemy aliens“ und hatten mit Einschränkungen
zu kämpfen. Dagegen trat die zahlenmäßig stärkste Gruppierung an Exil-Österreichern , die
sich unter Ferdinand Czernin in der anti-habsburgischen „Austrian Action“ versammelten ,
mit einer am 22. Dezember 1941 in New York abgehaltenen Loyalitätsversammlung
– nebst
Telegrammen an Präsident Roosevelt und Premierminister Churchill
– auf.788
Wie Peter Eppl dargestellt hat , waren rund zehn Prozent der in die Vereinigten Staaten
emigrierten Österreicherinnen und Österreicher politisch aktiv. Von einer Vielzahl zumeist
kurzlebiger Exilorganisationen und Gruppen wurden bis 1945 auch über 20 Exilzeitungen
publiziert , wovon sechs in deutscher Sprache erschienen.789
Neben dem bereits 1938 von Ernst Karl Winter790 in New York gegründeten „Austro-
American Center“, das allerdings primär kulturelle Ziele verfolgte und nicht auf die Schaf-
fung einer österreichischen Exilregierung ausgerichtet war , sind unter den größeren Grup-
pierungen der österreichischen politischen Emigration vor allem zu nennen : die bereits am
1. Mai 1939 von Robert Heine Geldern gegründete und 1940 von Otto Kallir übernommene
katholisch-konservative „Austrian-American League“,791 die allerdings nach Gründung
786 Goldner , Die österreichische Emigration 1938 bis 1945 , a. a. O., 70.
787 Siehe : Österreichische Rundschau. Austrian Review. Mitteilungsblatt der Austrian Action , September 1942 ,
14. Zit. in : Peter Eppel , Österreichische Exilpolitik in den USA. In : Österreicher im Exil USA , 1938–
1945. Eine Dokumentation. Bd. 1. Hrsg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Ein-
leitung , Auswahl und Bearbeitung : Peter Eppel , Wien 1995 , 221 sowie 174.
788 Goldner , Die österreichische Emigration 1938 bis 1945 , a. a. O., 108. Am 9. Februar 1942 wurde durch die
US-Justizverwaltung ein erster Schritt in Richtung einer Trennung der Österreicher von den Deutschen
gemacht – eine Trennung , die dann am 4. Juni 1942 in einem Memorandum der „Foreign Nationalities
Branch“, die gegen „jede Rückklassifizierung der Österreicher als feindliche Ausländer Stellung“ bezog ,
zementiert wurde. Ebd., 116.
789 Eppel , Österreichische Exilpolitik in den USA. In : Österreicher im Exil USA , 1938–1945. Eine Doku-
mentation. Bd. 2 , a. a. O., 231 ; vgl. dazu weiters : Benjamin Link , Die österreichische Emigrantenpresse in
den Subkulturen von New York City 1942 bis 1948 , Diss., Univ. Salzburg 1972.
790 Siehe dazu Kapitel 4 , Seite 380 f.
791 Ab März 1940 war der Dekan des Hunter College in New York , George N. Shuster , Präsident der „Aus-
trian-American League“. Vgl. Eppel , Österreichische Exilpolitik in den USA. In : Österreicher im Exil
USA , 1938–1945. Eine Dokumentation. Bd. 2 , a. a. O., 278 : siehe auch : http://www.doew.at/publika-
tionen/exil/ploechl/kallir.pdf ; siehe insbesondere auch : Helga Erhart , Die politische Arbeit der kon-
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741