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Exkurs : die österreichische Emigration in den USA
geistige Haltung der Jugend an , wie es sie von demokratischen und friedliebenden Faktoren in
Deutschland [ sic ] selbst als eine notwendige Voraussetzung für den Wiederaufbau des eigenen
Landes und Europas herbeigesehnt wird. Dieses Ziel hat nichts von Diskriminierung , es will
im Gegenteil die deutsche Jugend mit dem besten Teil der Jugend der anderen Völker in eine
Linie bringen.“825
Aufgrund des Umstandes , dass nichts von dem verwendbar sein wird , „was jetzt an Lehr-
büchern und in Schulbibliotheken für die Hände der Lehrer und Schüler bestimmt ist ,
denn jedes dieser Bücher , bis zu den Lehrbüchern der Botanik oder Darstellenden Geo-
metrie , ist irgendwie mit Nazigift verseucht“, sprach sich Furtmüller für die Schaffung ei-
ner „Kommission für psychologische Abrüstung“826 aus , die sowohl die Schulbücher und
Lehrpläne als auch personelle ‚Säuberungsmaßnahmen‘ überprüfen sollte. Ebenso wie die
Jugend durch „schonungslose Aufdeckung des barbarischen Charakters des Faschismus
auch in den Formen des Halb- und Kryptofaschismus gegen das Gift unterirdischer Beein-
flussung immun gemacht“ werden müsse , sollten auch die Universitäten nach dem Krieg
durch internationale Unterstützung zu Stätten eines demokratischen geistigen Wieder-
aufbaues werden :
„Den Universitäten würden amerikanische Gastprofessoren eine wertvolle Hilfe sein , die
von den Nazis geistig verwüsteten Stätten der Forschung und Lehre neu aufzubauen. Junge
Amerikaner und Amerikanerinnen , die ohne jede politische Nebenabsicht das Leben der
deutschen Jugend in den Jugendorganisationen mitleben und ihr helfen würden , demokra-
tische Lebensformen zu finden , würden Erlebnismaterial schaffen , das den theoretischen
Lehren über nationale Zusammenarbeit einen tragfähigen Unterbau geben würde.“827
Wie Furtmüller mit Verweis auf die amerikanische Erziehungstradition hervorhob , wä-
re dies freilich eine Anstrengung , die nicht von außen oktroyiert werden dürfe : „Und in
dem Land , in dem das pädagogische Stichwort ‚Learning by doing‘ geprägt worden ist ,
wird es ohne weiteres verstanden werden , dass all solche Erziehungsarbeit nur wirklich
fruchtbar gemacht werden kann , wenn das Leben der Jugend selbst in Schule und Jugend-
organisationen im Sinne freier demokratischer Zusammenarbeit gestaltet wird.“828
Anlässlich einer Konferenz des Völkerbundes im Frühsommer 1943 in Hot Springs wur-
de dem Chef der US-Delegation , John G. Erhardt , vom „Austrian Labor Committee“ ein
Memorandum zur politischen und wirtschaftlichen Rekonstruktion Österreichs überreicht
und auch Vorschläge für die „österreichische Erziehung nach Hitlers Sturz“829 unterbrei-
825 Carl Furtmüller , Erziehung – ein zentrales Nachkriegsproblem. In : Austrian Labor Information , No. 11 ,
20. Februar 1943 , 11.
826 Ebd.
827 Ebd., 12.
828 Ebd.
829 So Julius Deutsch in einem geharnischten Brief an Hans Rott , worin er die von Rott und Plöchl bean-
spruchte Führung des österreichischen politischen Exils – bezugnehmend auf einen Artikel in der New
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741