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Exkurs : die österreichische Emigration in den USA
terzug zu bekämpfen und unschädlich zu machen , werde zu den großen Erziehungsauf-
gaben einer neuen Republik in Österreich gehören. Hauptsächlich diesen Charakterzug
haben die Nazis ausgenützt [ sic ] in ihren Haßfeldzügen , ihrer unsinnigen Rassenpolitik.
[ … ] Wenn die neue Republik sich Geltung verschaffen wolle , werde sie nicht versuchen
dürfen , sich mit den ‚autoritären‘ Sado-Masochisten zu versöhnen [ … ]“.846
Soweit einige wenige Beispiele für die Auseinandersetzung mit Fragen einer geistig-
kulturellen „Reorientierung“ der österreichischen Nachkriegsgesellschaft , an denen – ins-
besondere im direkten Vergleich zu einer Vielzahl zeitgenössischer angloamerikanischer
Publikationen847 oder auch einzelner Beiträge des deutschen Exils zur Reeducation – vor
allem ihre Vagheit sowie ihr wenig differenzierter und teils apologetischer Charakter auf-
fällt. Auswirkungen auf weiterführende Debatten dürften diese marginalen Erörterungen
wohl weder innerhalb des österreichischen US-Exils noch auf den amerikanischen Reedu-
cation-Diskurs gehabt haben.
Diese Einschätzung korrespondiert auch mit der innen- sowie außenpolitischen Posi-
tion der USA gegenüber der österreichischen Emigration : eine direkte Einbeziehung in
die Nachkriegsplanungen war schon allein aufgrund der substanziellen Uneinigkeit unter
den Vertretern der österreichischen Exil-Gruppierungen ausgeschlossen ; eine mögliche
‚Verwendung‘ der Exilanten als „lebendige Beispiele“ für den Krieg der Weltanschauungen
sah man von amerikanischer Seite jedoch im Kontext der psychologischen Kriegsführung :
“The primary domestic importance of any refugee political group now in the United States re-
lates to the influence members of the group may exercise on their blood kin here in connection
with the war effort. In the case of the Austrians , the potentiality of help or danger under this
head is not great because there is no large American group of Austrian descent recognizable as
such. The importance of the Austrian political refugees relates almost exclusively , therefore , to
the play of war and politics in Europe. [ … ] In view of Austria’s strategic position , individual
Austrians can conceivably be of help in a number of specific military or quasi-military ways.
[ … ] The Austrian refugees can possibly be used also as a token. They are a living demonstration that
this is not merely a war between states but a war of ideals. The strategy of psychological warfare
comes into play.”848 [ Hervorhebung d. Verf. ]
846 Freiheit für Österreich , N. Y. C., 15. 11. 1942 [ DÖW Bibliothek 3003 ]. Zit. nach : Eppel , Österreichische
Exilpolitik in den USA. In : Österreicher im Exil USA , 1938–1945. Eine Dokumentation. Bd. 2 , a. a. O.,
585 f.
847 So z. B. die 1944 publizierte , überaus konzise Studie eines britischen Journalisten , der u. a. in Berlin stu-
diert hatte und eine spannend zu lesende Analyse sowohl der historischen Wurzeln des Nationalsozialis-
mus als auch der anstehenden Reeducation-Problematik unter massenpsychologischen Gesichtspunkten
verfasste : [ Henry ] Noel Brailsford , Our settlement with Germany , London 1944 [ 2012 ] , 106 ff.
848 The Austrians. Foreign Politics in the United States. Foreign Nationalities Branch. Office of the Coordi-
nator of Information , August 1942 , a. a. O., 40 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741