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Exkurs : die österreichische Emigration in den USA
Inwieweit derartige Berichte nun tatsächlich einen Einfluss auf den Prozess der politi-
schen Entscheidungsfindung hatten , lässt sich freilich schwer feststellen. Fakt ist jedoch ,
dass einzelne Passagen der von Hans Simon verfassten Analyse zum Teil wörtlich un-
mittelbar darauf in einem OSS-Bericht der „Foreign Nationalities Branch übernommen“
wurden.863 Interessant ist in diesem Zusammenhang außerdem , dass das Stereotyp vom
spezifisch österreichischen „biegsamen Charakter“ Einzug in Dokumente der US-Besat-
zungsmacht hielt. So heißt es 1948 in einem Überblicksreport des amerikanischen Besat-
zungselements :
“It is not easy to define the Austrian character in a few words. Suffice it to say that the Austrians
are a very mixed people , both racially [ sic ] and culturally. The centuries of Hapsburg [ sic ] rule
over Slavic , Italian , Magyar , Flemish and Germanic people left their imprint on the Austrian
character. The most strenuous efforts of the Nazis were unable to cure the Austrians of their most
famous trait ‘Schlamperei’
š an easy going outlook , born of the Austrian inability to take serious
view of the material difficulties of existence. The extraordinary resiliency of the Austrian char-
acter can readily be seen in Austria today. In spite of the upheavals of the war years , she has
easily slipped back into her previous manner of life , combining an invincible optimism , skilled
workmanship , artistic brilliance , fertile inventiveness , and a genius for making the best of a bad
situation.”864 [ Hervorhebung d. Verf. ]
Aufgrund des differenzierten und kenntnisreichen Blickes auf politische Befindlichkeiten
und mögliche Reaktionsbildungen in der österreichischen Bevölkerung fanden die Berich-
te Simons nicht nur bei den übergeordneten Geheimdienststellen große Beachtung , son-
dern wurden auch an das US-Außenministerium weitergeleitet. So schrieb der mit Simon
terreicherinnen und Österreicher , die den „Anschluss“ befürworteten , anhand der vorliegenden Quellen
schwer möglich ist , gehen auch neuere Analysen davon aus , dass die „Mehrheit der Österreicher bereit
war , in dem Großdeutschen Reich ihre ‚Pflicht‘ zu erfüllen.“ Jedenfalls findet sich , wie Bukey anmerkt ,
unter den Millionen Fotos vom „Anschluss“ „nur ein einziger Schnappschuss mit verstörten und traurigen
Gesichtern“. Siehe : Evan Burr Bukey , Hitlers Österreich. „Eine Bewegung und ein Volk“, Hamburg š
Wien 2001 , 66 bzw. 57.
863 So z. B. in folgendem Passus : „Austria’s situation is highly strategic. Well placed both for sabotage and for
eventual revolt , the Austrians may come to be valuable supporters of the United Nations. In the making
of peace , as well , Austria’s role is likely to be significant , providing either a neucleus [ sic ] of order or an
element of danger in the chaos of post-war Europe. [ … ] British and American policy toward Austria has
not been entirely clear. The legality of the Anschluss was accepted by both England and France ; and the
United States authorities , though with evident reluctance , were thought to have followed with de jure re-
cognition.“ [ Unterstreichung im Original ] Zit. nach : The Austrians. Foreign Politics in the United States.
Foreign Nationalities Branch. Office of the Coordinator of Information , August 1942 , 1. U. S. Office of
Strategic Services. Foreign Nationalities Branch Files 1942š1945. Indexes , Bethesda 1998 [ Mikrofiche-
Bestand , Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien , Bibliothek ] , INTš4AUš303.
864 Austria. A Graphic Survey. Prepared by U. S. Element Allied Commission for Austria , December 1948.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741