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Exkurs : die österreichische Emigration in den USA
sen Gründungsdokument im Übrigen auch John Dewey mitunterzeichnet hatte. Unter
Vorsitz von Paul Tillich868 und der stellvertretenden Leitung von Reinhold Niebuhr und
der US-Zeitungsreporterin Dorothy Thompson widmeten sich Repräsentanten und nahe
stehende Personen des deutschen politischen Exils – darunter auch Carl Zuckmayer , der
geheime Dossiers über deutsche und österreichische Kulturschaffende für den OSS ver-
fasste ,869 sowie Klaus und Erika Mann
– dem „aktiven antinazistischen Kampf innerhalb
und außerhalb Deutschlands“.870 Die Aktivitäten rieben sich aber , trotz breiter medialer
Berichterstattung in großen US-Zeitungen , letztlich in parteipolitischem Hick-Hack auf ,
sodass sich auch das OSS bald zurückzog.
Ebenso wie im Fall der österreichischen Emigration in den USA lag die Wirkungs-
macht – so es diese überhaupt gab – des deutschen politischen Exils „allenfalls im Hand-
lungspotential von Einzelpersonen.“871
Nicht wenige der österreichischen Emigranten , die erst nach dem „Anschluss“ und da-
mit meistens später in die USA kamen als die deutschen Exilanten , hatten jedenfalls große
Probleme , Fuß zu fassen. So machten viele der Wissenschafterinnen und Wissenschafter
große Anstrengungen , um , wie Lewis Coser es ausdrückte , „auf einen fahrenden Zug auf-
zuspringen“, um dann feststellen zu müssen , „daß alle Abteile schon voll besetzt sind.“872
Der Überlebenskampf der Intellektuellen und Kulturschaffenden , für die die „Deterrito-
868 Paul Tillich ( 1886–1965 ), deutsch-amerikanischer Religionsphilosoph von Weltruf und enger Freund
von Max Horkheimer und Leo Löwenthal. Tillich arbeitete am Frankfurter Institut für Sozialforschung
u. a. mit Hugo Sinzheimer , Theodor W. Adorno , Karl Mannheim , Friedrich Pollock und Karl Mennicke
zusammen , und lehrte nach seiner Emigration 1933 in die USA an der Harvard University und an der
University of Chicago. Siehe : Martin Jay , Dialectical Imagination. A History of the Frankfurt School and
the Institute of Social Research 1923–1950 , Berkeley – Los Angeles – London 1996 , 24 ff.
869 Der emigrierte deutsche Dramatiker und Schriftsteller Carl Zuckmayer verfasste 1943 / 44 über 150 „Cha-
rakterportraits“ deutscher und österreichischer Schriftsteller , Schauspieler , Musiker , Regisseure , Verleger
und Publizisten , darunter u. a. über Karl Heinrich Waggerl , Hans und Hermann Thimig , Hans Nüchtern ,
Erhard Buschwerk , Max Mell , Willy Forst , G. W. Pabst , Mirko Jelusich , Friedrich Schreyvogel , Bruno
Brehm oder über die beiden damals bereits verstorbenen
– Egon Friedell und Alexander Moissi. Vgl. Carl
Zuckmayer , Geheimreport. Hrsg. v. Gunter Nickel / Johanna Schrön. 2. Aufl. München 2007. Der Ein-
fluss bzw. die Wirkung der von Zuckmayer verfassten Dossiers dürfte allerdings gering gewesen sein , wie
Gunter Nickel und Johanna Schrön darlegen. Vgl. Gunther Nickel / Johanna Schrön , Carl Zuckmayers
Geheimreport für das „Office of Strategic Services“. In : Zuckmayer , Geheimreport , a. a. O., 466 f.
870 Eckert , Feindbilder im Wandel : Ein Vergleich des Deutschland- und Japanbildes , a. a. O., 46.
871 Füssl , Deutsch-Amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert. Bildung – Wissenschaft – Politik ,
a. a. O., 118.
872 Lewis Coser , Die österreichische Emigration als Kulturtransfer , Europa – Amerika. In : Friedrich Stadler
( Hrsg. ), Vertriebene Vernunft. Bd. II , Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft , Wien – Mün-
chen 1988 , 94 ; siehe auch : Mitchell G. Ash , Forced Migration and Scientific Change. Steps Towards a
New Overview. In : Edward Timms / Jon Hughes ( Eds. ), Intellectual Migration and Cultural Transfor-
mation. Refugees from National Socialism in the English-Speaking World. (= Veröffentlichungen des
Instituts Wiener Kreis 12 ), Wien 2003 , 241–263.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741