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2. „Education for Victory“
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Mead , Erik Erikson , Kurt Lewin , Erich Fromm , Gregory Bateson , Friedrich ( Frederick )
Foerster , Talcott Parsons881 oder Walter Kotschnig , und stand im direkten Austausch mit
US-Regierungsstellen. Ende April bis Anfang Juni 1944 fand an der Columbia University
eine von diesem „Committee“ organisierte Konferenz zu „Germany After War“ statt , an
der unter anderem auch die österreichischen Exil-Psychoanalytiker Heinz Hartmann ,882
Ernst Kris , Hans Ernst Fried und Marianne Kris teilnahmen.883
Das Protokoll dieser zivilgesellschaftlichen Experten-Konferenz – zu der das Berke-
ley-Forschungsteam zur „Authoritarian Personality“ offenbar nicht eingeladen war – do-
kumentiert in seiner hybriden inhaltlichen Form und Sprache den Versuch , die psych-
iatrischen Ansätze , die nach wie vor von der „aggressiveness [ … ] of German character“
ausgingen , mit den differenzierteren und zugleich theoretisch avancierten sozialwissen-
schaftlich-pädagogischen Theorien zu einem kulturtheoretischen Grundlagenkonzept für
eine „Postwar-Education“ zusammenzuführen. Das Resultat fiel ebenso elaboriert wie pa-
radox aus : Zum einen hob man hervor , dass eine friedensichernde Nachkriegsentwick-
lung nur auf Basis eines inneren Wandels der Deutschen garantiert sein würde , der durch
„Selbsterziehung“ und nicht durch Auflagen der „conquerors“ eintreten müsse. Da das au-
881 Talcott Parsons ( 1902–1979 ), einer der führenden US-amerikanischen Soziologen , der in den 1920er-
Jahren u. a. an der Universität Heidelberg studiert und dort 1928 promoviert hatte. Im Zusammenhang
der Reeducation warnte Parsons davor , die geistig-weltanschauliche ‚Konversion‘ der Deutschen , d. h. ihre
demokratische Reorientierung unter kurzfristigem Druck von außen durchführen zu wollen , denn „by
means of propaganda or other means of indoctrination would almost certainly intensify a tendency to ide-
ological reaction.“ Zit. nach : Ron Robin , The Barbed-Wire College. Reeducating German POWs in the
United States during World War II , Princeton 1995 , 23. Parsons war über die Diskussionen an der Har-
vard University seit 1940 mit Fragen der Reeducation bzw. Reorientation in Europa befasst und stand mit
einer Vielzahl von Wissenschaftern in engem Austausch , so u. a. auch mit dem Harvard-Historiker und
Leiter der Research & Analysis Branch des OSS , William L. Langer. Vgl. Uta Gerhardt , Talcott Parsons.
An intellectual Biography , Cambridge 2002 , 131 ff.
882 Heinz Hartmann ( 1895–1970 ), Ich-Psychologe und Psychoanalytiker , Schüler Sigmund Freuds und
Sohn des Mediävisten und Volkshochschulpioniers Ludo Moritz Hartmann. Heinz Hartmann emigrierte
1938 nach Frankreich und wechselte ein Jahr später in die Schweiz , wo er am Psychoanalytischen Institut
in Genf und Lausanne arbeitete. 1940 emigrierte er in die USA , wo er am New Yorker Psychoanalytischen
Institut lehrte und forschte. Siehe : International Biographical Dictionary of Central European Emigrés
1933–1945. Vol. II / Part 1 : A-K. The Arts , Sciences , and Literature. Hrsg. v. Hanna Caplan / Belinda Ro-
senblatt , München – New York – London – Paris 1983 , 462 ; siehe auch : http://www.adulteducation.at/
de/historiografie/personen/66.
883 Vgl. Eppel , Österreichische Exilpolitik in den USA. In : Österreicher im Exil USA , 1938–1945. Eine Do-
kumentation. Bd. 2 , a. a. O., 33 ; weiters : Laura Fermi , Illustrious Immigrants. The Intellectual Migration
from Europe 1930–1941 , Chicago – London 1968 , 320 ff. ; siehe weiters : Peter Eppel , Die Vereinigten
Staaten von Amerika. In : Friedrich Stadler ( Hrsg. ), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil öster-
reichischer Wissenschaft 1930–1940. Teilband 2 , unveränderte Neuaufl., Münster 2004 , 989. Das an die
Columbia University angeschlossene „Institute of Social Research“, in dem auch frühere Mitarbeiter des
Frankfurter Instituts für Sozialforschung tätig waren , so u. a. auch der Österreicher Paul Lazarsfeld , war
ein Hauptzentrum der Exilwissenschaften in den USA. Siehe ebd.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741