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Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte
Anhand einzelner Dokumente lässt sich aber nachvollziehen , dass sich das atmosphäri-
sche Verhältnis zwischen dem auf politische Analysen und diplomatisches Prozedere hin
orientierten Beamten des State Department und den strategischen Entscheidungsträgern
im War Department sowie den Militärstäben der US-Armee in Europa zunehmend ab-
kühlte. Die zur kurzfristigen Begutachtung und allgemeinen Supervision weitergeleiteten
militärischen Planungsunterlagen folgten letztlich einem nur formalen Prozedere , und
Einsprüche oder kritische Diskussionen fanden hier ebensowenig Platz wie eine inhaltlich
vertiefte Auseinandersetzung mit den durchaus komplexen Fragen einer zu implementie-
renden demokratischen Nachkriegsordnung in den Achsenstaaten.
Die im Zusammenhang mit den Reorientations-Planungen insgesamt eher rigide Hal-
tung der US-Militärs zeigte sich freilich auch und insbesondere gegenüber allen mit dem
State Department kooperierenden zivilen Einrichtungen. So richtete Grayson N. Kefauver ,
Dekan der Stanford University und Vorsitzender der „International Education Assembly“
im Jänner 1944 ein Schreiben an General John H. Hilldring als verantwortlichen Leiter
der Civil Affairs Division , worin er diesen zu einer Tagung des „Liaison Committee for
International Education“ über die „wichtigen Probleme“ der „Post-War-Education“ ein-
lud ; einer Tagung , an der , wie Kefauver gegenüber Hilldring eigens hinwies , neben über 30
Repräsentanten ziviler US-Bildungseinrichtungen „with special interest in international
education“ unter anderen auch der Assistant Secretary of State , G. Howland Shaw sowie
der U.S. Commissioner of Education , John Studebaker , teilnehmen würden.950
Hilldring beantwortete die Einladung des anerkannten Bildungexperten Kefauver re-
serviert und förmlich , indem er diesen knapp darüber verständigte , dass er Colonel Burnet
angewiesen habe , „to present a brief report on the Army program for educational reconst-
ruction in territories occupied by U.S. forces“. Hingegen wäre es nicht möglich , Informa-
tionsmaterial des War Departments bei der Tagung in schriftlicher Form aufzulegen , da
„much of the information contained in them has been classified for reasons of military se-
curity and cannot be disseminated outside of military circles“. Dies obwohl , wie Hilldring
eigens betonte , die diesbzüglichen Informationen des War Departments überaus mager
( „meager“ ) wären. Abschließend gab General Hilldring seinem durch Geheimhaltungser-
fordernisse bedingten Bedauern im pluralis majestatis Audruck : “It is regretted that we will
in amikaler Form ( „Dear Doc“ ) gegenüber dem stellvertretenden Direktor des Office for European Affairs ,
H. Freemann Matthews , zur Sprache brachte und unmissverständlich klarlegte , dass keine weiteren Ände-
rungen mehr angebracht wären und Detailveränderung „would be handled in the Control Council or other-
wise on a military level.“ [ Hervorhebung d. Verf. ] FRUS , 1944 , Vol. 1 , a. a. O., 410. The Assistant Secretary
of War ( McCloy ) to the Deputy Director of the Office of European Affairs ( Matthews ), [ Washington
D.C. ] , 20. November 1944.
950 The U. S. Occupation of Germany : Educational Reform 1945–1949 , Microfilm-Collection Congressional
Information Service , edited by Gary H. Tsuchimochi , Tokyo 1991 ( Bestand Institut für Zeitgeschichte der
Universität Wien , Bibliothek ), 2-A–153 , 1 f. Grayson N. Kefauver to Major General J. H. Hilldring , Chief ,
Civil Affairs Division , Office of Chiefs of Staff , War Department , Washington D.C., 21. Jänner 1944.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741