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2. „Education for Victory“
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be unable to furnish your Committee with copies of the report to be delivered orally and
that we must insist that it be treated as restricted matter.”951
Soweit dieses illustrative Fallbeispiel zu so manch asymmetrischen Informationsverläu-
fen zwischen Militärs und engagierten Repräsentanten des zivilen US-Reorientierungs-
Diskurses. Im Fall Kefauvers verwundert die reservierte Haltung Hilldrings besonders , da
dieser seit langem intensiv mit Fragen der Reorientierung befasst und auch an den CA-
ME-Konferenzen beteiligt war. Im Juni 1944 leitete Kefauver seine ausgearbeiteten Über-
legungen zur „Educational and Cultural Reconstruction“ an Major Boettinger von der
Civil Affairs Devision weiter. Erwähnenswert ist dieses Dokument deshalb , weil die dar-
in detailliert ausgearbeiteten Vorschläge sowohl „Short-Term Activities“ als auch „Long-
Term Activities“ im Bereich der Reorientierung behandelten. Kefauvers Vorschläge , die er
explizit als Anregung beziehungsweise Unterstützung für die alliierten Militärplanungen
in London verstand , umfassten im Zusammenhang mit kurzfristig zu ergreifenden Maß-
nahmen auch den Bereich der Restitution von Kunstgegenständen , Büchern und Archi-
ven sowie Bildungsmaßnahmen im Kontext mit der Rehabilitation von Kriegsverletzten
oder psychisch-mental geschockter Personen , spezielle Kinderfürsorgemaßnahmen und
die Forcierung intellektueller , philosophisch-ethischer Trainingskurse. Als Langzeitmaß-
nahmen regte Kefauver neben internationalem Austausch im Bibliotheks- und Bücherei-
wesen , Studentenaustauschprogrammen , intensivierten internationalen Kulturkontakten
sowie der Förderung von „non-governmental agencies in international and cultural deve-
lopments“ insbesondere auch die Durchführung von vergleichenden Studien in der Leh-
rerausbildung , des Bibliotheks- und Archivwesens , von Umfragen hinsichtlich der Verän-
derung der öffentlichen Meinung in Bezug auf Bildung und Kultur an.952
Die inhaltlich spannenden und auch überaus konstruktiven Vorschläge Kefauvers wur-
den jedoch , wie nicht weiter verwunderlich , nicht aufgegriffen und landeten wohl in einer
Ablage des War Departments.
Die US-Armee war über die übertragene Verantwortung für die zivilen Reorientierungs-
Maßnahmen ganz offenkundig wenig erfreut und wohl in zweifacher Weise schlicht und er-
greifend überfordert : sowohl hinsichtlich der erforderlichen inhaltlichen und intellektuellen
Kompetenzen als auch in operativer Hinsicht , als sich die Übernahme ziviler Reorientie-
rungs-Planungen für die Nachkriegszeit mit den laufenden militärischen Kampfhandlun-
gen auf dem europäischen Kriegschauplatz nur schwer in Einklang bringen ließen.
In einem Bericht der US-Armee vom Juni 1944 an das War Department über diesbezüg-
liche Planungen und Aktivitäten kommt die tiefsitzende Frustration der in Italien statio-
951 The U. S. Occupation of Germany : Educational Reform 1945–1949 , a. a. O., 2-A–153 , 1. J. H. Hilldring ,
Major General , Director , Civil Affairs Division , to Grayson N. Kefauver , 26. Jänner 1944.
952 NARA II , RG 165 , Box 174. Grayson N. Kefauver to Major John Boettinger , United States Army , Civil
Affairs Division , „Some Preliminary Suggestions Concerning Program of the United Nations Organizing
for Educational and Cultural Reconstruction“, Pentagon , 13. Juni 1944.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741