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Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte
In einem Kommentar zum Entwurf des Inter-Divisional Committees , den der konser-
vative Hardliner George F. Kennan – zum damaligen Zeitpunkt politischer Berater des
US-Botschafters in London – verfasste , relativierte dieser die unterbreiteten Vorschläge
für ein ziviles Langzeit-Reorientierungs-Programm , wohl auch , weil diese auf eine mög-
lichst frühe Selbstverwaltung ( „Self-Government“ ) der Deutschen zielten. Die Deutschen ,
so Kennan in seiner pessimistischen Sicht , wären „primitive and childish“, „observant and
imitative“, sodass ein effizientes Besatzungsregime , in „businesslike , purposeful manner ,
with firmness and decision [ … ] making it evident that we are people who know what we
want and how we propose to get it“ mehr Aussicht auf Erfolg haben würde.971 Kennans
Beurteilung der „erzieherischen“ Vorschläge – „well-written paper which contains a great
deal that is true“ – untergrub mit seinem wenig optimistischen Fazit jede weitere Dis-
kussion innherhalb der militärischen Planungsgremien und stellte sogar – in diametraler
180-Grad-Wendung – die Kooperation mit unbelehrbaren Nationalisten als womöglich
einzige Option des gesellschaftlichen Wandels innerhalb der nächsten Generationen in
Aussicht :
“I think we should be extremely circumspect in counting on the existence in Germany of any
democratically minded people , strong enough to help us in our purposes. It may well be that
we will have to find our support rather in repentant nationalists who have been persuaded by
the force of events of the necessity of a less aggressive concept of Germany’s destiny. In any
case , I think the letter and connotation of the word ‘democracy’ are both seriously compromised in
Germany , and will scarcely be accepted by this generation as an acceptable substitute for a con-
cise and constructive teleology of German national development.”972 [ Hervorhebung d. Verf. ]
Wie überaus mager die Ergebnisse der militärischen US-Reorientation-Beratungen ausfie-
len und wie viele Stellen an diesen hochgradig ineffektiven Planungen zugleich involviert
waren , zeigen die in leerformelhafter Sprache verfassten Geheimberichte der Joint Chiefs
of Staff , die sich mehr um Fragen der Logistik und Demobilisierung drehten , als um
Reeducationsmaßnahmen. So finden sich in Summe neun militärische US-Einrichtungen
aufgelistet , die 1944 mit Planungen zur Reorientation befasst waren.973
971 George F. Kennan , Department of State , Division of European Affairs , „Comment in the Paper : Ger-
many – Occupation Period : Re-education , CAC–167 , 11. Mai 1944 , 1. Hoover Institution Archives ,
Stanford University , John Doane Hartigan Papers , 1909–1958 , Box 7 : Military reports and career of John
Doane Hartigan.
972 Ebd.
973 NARA II , RG 260 , USG CC 1944–45 , Box 27 , Folder 14. Joint Chiefs of Staff , Coordination of Planning
for the U. S. Reorientation of Effort Upon the Defeat of Germany. Note by the Secretaries , A. J. McFar-
land , E. D. Graves , Jr., [ Secret ] , 20. Mai 1944. Unter „Appendix B“ finden sich unter dem Titel „Agencies
Currently Engaged In Planning On The Subject Of Reorientation And Summary Of What Is Being
Done“ folgenden Einrichtungen aufgezählt : ( 1 ) Joint Chiefs of Staff [ Joint Strategic Survey Committee
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741