Seite - 236 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Bild der Seite - 236 -
Text der Seite - 236 -
2. „Education for Victory“
236
und trotz Urgenzen des State Departments bis Sommer 1945 nicht als „Österreicher“ iden-
tifiziert.1006
Major Edward Davison vertrat die Ansicht , dass eine Segregation der Österreicher für
das POW-Programm keinen besonderen Vorteil bieten würde , da sich unter diesen viele
„rabid Nazis“ befänden.1007 Tatsächlich dürften die ideologische Gemeinschaft mit den
deutschen Kriegsgefangenen , der aufrechterhaltene Wehrmachtsdrill sowie die Weigerung
der US-Militärs , die Österreicher in eigenen Lager-Abschnitten unterzubringen , dafür
gesorgt haben , dass so manche österreichische Soldaten erst anlässlich ihrer Heimkehr
erkannten , dass sie „Österreicher“ sind.1008
Eine völlig andere Auffassung vertrat diesbezüglich die Austro American Tribune , die
im August 1943 darlegte , wie immens wichtig die umgehende Separierung der österreichi-
schen Kriegsgefangenen von den Deutschen wäre. Die Alliierten , so der namentlich nicht
gezeichnete Beitrag , hätten sich bereits auf die Wiederherstellung eines unabhängigen
Österreich als Kriegsziel festgelegt , was die maximale Stärkung des österreichischen Wi-
derstands sinnvoll erscheinen lassen würde ; zudem würde sich die Kriegsunwilligkeit der
Österreicher mittlerweile auch durch zahlreiche Desertionen in Griechenland , Norwegen ,
Jugoslawien und insbesondere in Stalingard klar gezeigt haben.1009 Darüber hinaus würde
die Separierung der österreichischen Kriegsgefangenen
– in nationalsozialistischer Diktion
ja immerhin ein Teil der deutschen „Herrenrasse“ – auch einen wichtigen propagandisti-
schen Gegenschlag gegen die NS-Propaganda bedeuten :
“The separation of Austrian war prisoners from the Germans would thus not only strengthen
the struggle for independence in Austria itself , but would also strike a blow to the Greater
German ideology with witch German imperialism has always covered up its misdeeds. [ … ]
The question of reeducation of war prisoners is a subject of legal dispute. But the separation
of Austrian war prisoners which would be a significant act for the Germans and a decisive
step in reeducation for the Austrian prisoners is legally incontestable. Destroy the Hitler lie
of ‘one people , one Reich , one Führer’
– right here
– in the prisoners’ camps ! “1010 [ Hervorhebung
d. Verf. ]
1006 Vgl. Robert D. Billinger , Jr., „Austrian“ POWs in America , 1942–1946. In : Zeitgeschichte , 29. Jg., 2002 ,
Heft 3 , 123 f. Vgl. dazu auch die Darstellung : Hans Ernest Fried ( City College , N. Y. ), Separation of
Austrian War Prisoners. In : Austro American Tribune. Anti-Nazi Monthly , Vol. II , No. 3 , Oktober 1943 , 1.
1007 Major Edward Davison , Assistant Director , Prisoner of War Division , Memorandum to Chief , Opera-
tions Branch. Subject : Segregation of Austrian Prisoners of War , 22. August 1944. Hier zit. nach : Billin-
ger , Jr., „Austrian“ POWs in America , a. a. O., 125.
1008 Vgl., ebd., 127.
1009 Practical Post-War Planning. In : Austro American Tribune. Anti-Nazi Monthly , Vol. 2 , Mid-August 1943 , 1.
1010 Practical Post-War Planning. In : Austro American Tribune. Anti-Nazi Monthly , Vol. 2 , Mid-August
1943 , 2.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741