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2. „Education for Victory“
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NS-Herrschaftssystem war ; und diese Indoktrinierung wurde in den US-Analysen in Bezug
auf das okkupierte und gleichgeschaltete Österreich ebenso als gegeben vorausgesetzt.
Als eigenständiger politischer Bezugspunkt für militärisch-strategische Nachkriegspla-
nungen – abseits vager Überlegungen zur Schaffung einer Donaukonföderation , wie sie
unter anderem vom britischen Premier Churchill kurzfristig im Zusammenhang mit einer
politischen Schwächung Deutschlands ins Spiel gebracht wurden1024
– taucht Österreich
erst Mitte 1943 im Rahmen der Moskauer Konferenz auf. Roosevelt war erst gegen Kriegs-
ende bereit , die USA eine aktive Rolle in der politischen Nachkriegsgestaltung Europas
spielen zu lassen , wobei die Regelung der Zukunft Deutschlands als vordringlich galt. Ab-
gesehen davon lag es vor dem Hintergrund des historischen Entwicklungsverlaufs sowie
der von Vertretern des österreichischen politischen Exils favorisierten supranationalen Lö-
sung keineswegs auf der Hand , die Errichtung eines freien und unabhängigen Österreichs
zu befürworten , wie das die Sowjetunion bereits seit einer Besprechung Stalins mit dem
britischen Außenminister Anthony Eden seit Ende 1941 tat ; diese konsequent vertretene
Forderung der Sowjets nach einer Wiederherstellung eines unabhängigen Österreich in
den Grenzen vor 1938 war indes von der strategischen Überlegung getragen , eine allfällige
Blockbildung gegenüber Rußland im mitteleuropäischen Raum zu verhindern.1025
Auf westalliierter Seite kam der Vorstoß zur „Wiederherstellung Österreichs als frei-
er und unabhängiger Staat“ in Form eines Memorandums , das der britische Diplomat
Geoffrey W. Harrison im Frühjahr 1943 unter dem Titel „The Future of Austria“ als Grund-
lage für die Österreichplanung im britischen War Office verfasste hatte. Auf Basis dieses
Memorandums , das zunächst vier gleichrangige alternative Nachkriegsszenarien für ein
freies Österreich entwickelte , kam es im Juni darüber hinaus zum ersten Entwurf einer
„Erklärung über Österreich“ samt angeschlossener „Verantwortlichkeits-Klausel“.1026
Ohne hier auf weitere Details der nachfolgenden diplomatischen Verhandlungen der
Alliierten Mächte über das Memorandum einzugehen , verdankte sich die weitere Diskus-
sion rund um eine alliierte Absichtserklärung gegenüber Österreich de facto – wie unter
anderen Keyserlingk schlüssig dargestellt hat – amerikanisch-britischen Strategiekonzep-
ten des „Psychological Warfare“ und keineswegs primär politischen Überlegungen :
“What outside observers at that time could not know was that the Moscow Declaration on Aus-
tria fitted into a broad propaganda campaign directed against the Nazis. The declaration was is-
sued as part of the Allies political warfare attack on the enemy’s morale in the Austrian area.”1027
1024 Vgl. Fritz Fellner , Die außenpolitische und völkerrechtliche Situation Österreichs 1938. Österreichs
Wiederherstellung als Kriegsziel der Alliierten. In : Erika Weinzierl / Kurt Skalnik ( Hrsg. ), Österreich –
Die Zweite Republik. Bd. 1 , Graz 1972 , 53 f.
1025 Vgl. dazu : Wilfried Aichinger , Sowjetische Österreichpolitik 1943–1945 , phil. Diss., Univ. Wien 1977 , 23 f.
1026 Stourzh , Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955 , a. a. O., 2 f.
1027 Keyserlingk , Austria in World War II , a. a. O., 124.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741