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2. „Education for Victory“
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Zunächst ergab die Befragung der österreichischen POW’s , dass diese noch nichts von der
Moskauer Deklaration gehört hatten. Darüber hinaus vertrat die überwiegende Mehrzahl
der Befragten die Überzeugung , dass die Alliierten Österreich nach dem Krieg vermutlich
ohnedies von Deutschland trennen würden , und zwar als besondere „Bestrafungsmaßnahme“:
“It also appears that the Austrians take their liberation from Germany for granted as an inevita-
ble outcome of the war. Thus , of a group of Austrian prisoners of war recently questioned , none
had ever heard of the Moscow Declaration , but all were convinced that the Allies would separate
Austria from Germany after the war , perhaps as a form of punishment.”1046 [ Hervorhebung d. Verf. ]
Die Spezialisten der Research & Analysis Branch kritisierten ihrerseits jedoch den poli-
tischen Wortlaut der Moskauer Deklaration , welcher die künftige „Unabhängigkeit“ des
Landes gewissermaßen von oben her dekretieren würde , statt diese als Option in Aus-
sicht zu stellen. Ähnlich wie zuvor beim Friedensvertrag von St. Germain sei damit der
Wunsch nach Unabhängigkeit als selbstverständlich vorausgesetzt worden , ohne diesen
mit Hinweis auf künftige wirtschaftlich-ökonomische Unterstützung zu befördern und
zu festigen.1047
Soweit die nicht nur spannend zu lesende , sondern auch inhaltlich überaus interessante
Analyse des militärischen US-Geheimdienstes zu den meinungspolitischen Auswirkungen
der Moskauer Deklaration , deren Fazit jedenfalls kein weiteres unmittelbares Engagement
der USA in Richtung eigenständiger Österreichpolitik nahelegte ; tatsächlich geriet Öster-
reich Anfang 1944 rasch wieder aus dem Fokus des westalliierten Planungskalküls.1048 Aus
militarischer Perspektive blieb Österreich weiterhin feindliches Territorium : so gingen die
Combined Chiefs of Staff , zumindest für die Dauer der Kriegshandlungen , auch in Bezug
auf Österreich von den „terms of surrender imposed on Germany“ aus.1049
Doch selbst wenn der alliierten Verlautbarung ganz offenkundig noch keine klare Ös-
terreichpolitik zugrunde lag und die Österreich-Erklärung – zumindest aus westalliierter
Sicht – noch kein bindendes Präjudiz für die politische Zukunft des Landes darstellte ,
begann sich die damit geschaffene Referenzgrundlage für die „Sonder-“ oder „Zwitterrol-
le“ Österreichs allmählich doch zu verselbständigen und das , trotz oder gerade wegen des
Umstandes , dass Österreich , wie Kurt Tweraser treffend formuliert , aufgrund fehlender
alliierter Konzepte „politisch im luftleeren Raum hing“.1050
1046 Prisoner of War Interrogations , OSS , CID , 54292 , 54294. Zit. nach : The Attitude of the Austrian People
Towards the Moscow „Declaration on Austria“, a. a. O., 28.
1047 The Attitude of the Austrian People Towards the Moscow „Declaration on Austria“, a. a. O., 24 f.
1048 Vgl. Keyserlingk , Austria in World War II , a. a. O., 166.
1049 CCS im Februar 1944. Zit. nach : Keyserlingk , Austria in World War II , a. a. O., 166.
1050 Kurt Tweraser , US-Militärregierung Oberösterreich. Bd. 1 : Sicherheitspolitische Aspekte der amerika-
nischen Besatzung in Oberösterreich-Süd 1945–1950 (= Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs ,
Bd. 14. Hrsg. v. Oberösterreichischen Landesarchiv ), Linz 1995 , 18.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741