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Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planungder US-Militärstäbe 1943 / 44–1945
Obwohl sich Roosevelt nach Drängen der Sowjets und den insistierenden Urgenzen
von US-Botschafter Winant1051 und Stettinius als Secretary of State1052 erst am 4. Dezem-
ber 1944 davon überzeugen ließ , überhaupt Besatzungsaufgaben in Österreich zu überneh-
men – „[ … ] in regard to Austria , the answer is ‚yes‘ – you have my permission“,1053 – war
mit der Moskauer Deklaration für die Nachkriegsentwicklung Österreichs eine zumindest
formal von Deutschland unterschiedliche Behandlung – Befreiung anstelle von militäri-
scher Niederwerfung
– in Aussicht gestellt ; eine Position , die sich auch in den beiden ein-
zigen militärischen US-Planungsdokumenten mit Bezug auf Österreich ( nach Kriegsende )
wiederfindet.
Am 28. April 1944 hatten die Combined Chiefs of Staff die oben bereits genannte Di-
rektive CCS 551 formuliert , die die Besatzungspolitik gegenüber Deutschland für SHAEF
beziehungsweise die alliierten Landungstruppen zusammenfasste und eine erste Rohfas-
sung des Handbuches für die Militärverwaltung enthielt.1054
Im Großen und Ganzen wurden in der CCS Direktive , die sich sowohl auf Deutschland
als auch auf Österreich bezog , kaum wesentliche Unterschiede im Besatzungsregime für
beide Länder gemacht. Wie aus einer CCS Meldung hervorgeht , sollte auch die alliierte
Propaganda keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Deutschland und Österreich
machen , mit einer Differenz : „[ … ] in the case of Austria the principal emphasis would
lie in exploiting the Moscow Declaration showing the Austrians that the consequences of
Germany’s unconditional surrender include the liberation of Austria [ … ]“.1055
Ohne auf Fragen der Reeducation beziehungsweise Reorientation einzugehen , be-
inhaltete die Direktive immerhin einen expliziten Österreichbezug : im „Appendix B“
wurde ein kurzer und wenig elaborierter Anhang mit dem Titel „Political Guide for
Austria“ angeschlossen , der speziell auf Österreich einging. Abgesehen davon , dass die
Besatzungstruppen darin aufgefordert wurden , gegenüber der österreichischen Bevöl-
kerung etwas freundlicher zu sein ( „more friendly than in Germany“ ), fixierte dieser
1051 NARA II , RG 59 , State Department , Box 12. Winant to Secretary of State [ urgent ]. 4. Dezember 1944.
Darin heißte es u. a. : „I feel you should also know that the Russians insist on complete agreement on
zones before discussion concrete arrangements regarding control machinery in Austria.“ Ebd., 2.
1052 NARA II , RG 59 , State Department , Box 12. E. R. Stettinius , Jr., Memorandum for the President , Sub-
ject : Postwar Occupational Control in Austria , 30. November 1944.
1053 NARA II , RG 59 , State Department , Box 12. F. D. R., The White House in Washington , Memorandum
for Hon. E. R. Stettinius , 4. Dezember 1944.
1054 Lange-Quassowski , Amerikanische Westintegrationspolitik , a. a. O., 259. Vor der Verschärfung durch
JCS 1067 sah das militäradministrative Reglement eine baldige Selbstverwaltung , die Garantie freier
Meinungsäußerung und die Bildung freier Gewerkschaften vor. Vgl. Rolf Lutzebäck , Die Bildungspo-
litik der britischen Militärregierung im Spannungsfeld zwischen ‚education‘ und ‚reeducation‘ in ihrer
Besatzungszone , insbesondere in Schleswig-Holstein und in Hamburg in den Jahren 1945–47 (= Euro-
päische Hochschulschriften 11 ), Frankfurt a. Main – Bern – New York – Paris 1991 , 51.
1055 NARA II , RG 260 , Box 30 , Folder 251 / 243. Historical File , USACA History. Part I – USA from its
Inception to V-E Day , 36.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741