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3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 275
terrichtsministerium und den Schulbehörden in den Ländern
– erwies sich allerdings nicht
nur wegen der bald zunehmenden machtpolitischen Spannungen und Querelen unter den
Alliierten als ausgesprochen schwierig. So zeigte sich im Hinblick auf die intendierte Er-
neuerung der in föderaler Kompetenz liegenden Lehrpläne , dass die Schulbehörden der
westlichen Bundesländer wie Tirol oder Vorarlberg „nicht gewillt waren , die Provisori-
schen Lehrpläne einzuführen“ und sich weiterhin an den während des Austrofaschismus
festgelegten Curricula orientierten.1186 Auch nach mehrfachen Urgenzen der russischen
Vertreter im Alliierten Rat im Jahr 1948 konnten sich die westalliierten Reorientierungs-
Fachleute nicht auf ein geschlossenes Vorgehen einigen , sodass die „autoritären“ Lehrpläne
des früheren austrofaschistischen Regimes weiterhin in Verwendung blieben.1187
Ähnlich schwierig gestaltete sich auch die Entnazifizierung der Lehrerschaft. Nach-
dem die Schulen in den Besatzungszonen kurzfristig geschlossen worden waren – eini-
ge wurden von alliierten Truppen für die Unterbringung ihrer Kontingente in Beschlag
genommen1188 –, sperrten viele der Unterrichtsanstalten1189 bereits im Mai 1945 wieder
auf , wobei viele Schulgebäude durch das Kriegsgeschehen beschädigt waren. 4. 000 Leh-
rer waren mit sofortiger Wirkung entlassen worden1190 und die Wiederverwendung wei-
terer 10. 000 Lehrer musste durch Entnazifizierungsverfahren geprüft werden ,1191 wobei
sich angesichts des eklatanten Lehrermangels – so fehlte 1946 rund ein Drittel der erfor-
derlichen Mittelschulprofessoren1192
– allerdings bald eine pragmatische Verfahrensweise
durchsetzte. Allein in der US-Besatzungszone Salzburg und Oberösterreich , wo zum Be-
ginn der Screening-Verfahren durch die „Public Safety Special Branch“ der US-„Internal
Affairs Division“ sowie durch Einheiten des CIC 50 Prozent der Lehrerschaft vom Dienst
diesem Zusammenhang : Manfred H. Burschka , Re-education und Jugendöffentlichkeit. Orientierung
und Selbstverständnis der Nachkriegsjugendpresse 1945–1948. Ein Beitrag zur politischen Kultur der
Nachkriegszeit , Diss., Univ. Göttingen 1991 ; Karl H. Füssl , Die Umerziehung der Deutschen Jugend
und Schule unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945–1955 , Paderborn 1994.
1186 Engelbrecht , Die Eingriffe der Alliierten in das österreichische Schul- und Erziehungswesen nach 1945 ,
a. a. O., 292.
1187 Ebd.
1188 So waren etwa in Wien 7 Schulgebäude durch alliierte Truppen besetzt. In den US-Zonen in Salzburg
und Oberösterreich wurden 35 Pflichtschulgebäude von den Militärs besetzt ; weitere 82 Schulgebäude
waren von nicht-militärischen , zivilen Einrichtungen in Beschlag genommen. NARA II , RG 260 , Box
31 , Folder 253. USACA Historical File , United States Allied Commission for Austria History. Part II ,
V-E Day to End 1945 , 240.
1189 In den US-Zonen in Wien , in Salzburg und in Oberösterreich waren dies nach einer Aufstellung vom
17. September 1945 in Summe 809 Volks- und Hauptschulen , 34 Mittelschulen sowie 40 sonstige Schu-
len , wobei sich die Gesamtzahl aller Lehrer auf 5422 belief. Ebd., 239.
1190 Dieter Stiefel , Entnazifizierung in Österreich , Wien – München – Zürich 1981 , 162 ; siehe auch : Dimi-
tra Reimüller , Entnazifizierung in Österreich , Dipl.-Arb , Univ. Graz 1988.
1191 Stiefel , Entnazifizierung in Österreich , a. a. O., 162.
1192 Ebd., 164.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741