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4. „The democratic way of life in Austria“
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die Auseinandersetzungen noch weiter verstärkte ;1258 ab Sommer 1932 galt , analog zum
Beschluss auf dem 15. Deutschen Studententag in Würzburg , auch auch in Österreich das
„Führerprinzip“ innerhalb der „Deutschen Studentenschaft“.1259
Wie Kurt Bauer schlüssig dargelegt hat , ging die von der NSDAP angewandte Strategie
der „kalkulierten Eskalation“ auf akademischem Boden voll auf : mehr als 25 Prozent der
illegalen Nationalsozialisten in Wien „gehörten dem akademischen Milieu an“,1260 wo-
bei deren antisemitische Gewaltakte von der Polizei1261 ( außerhalb der Universität ), dem
Wiener Universitätsrektor Wenzel von Gleispach , den universitären Behörden und der
antisemitischen Professorenschaft1262 entweder stillschweigend geduldet oder offen unter-
1258 Siehe dazu : Wolfgang Speiser , Unter Adolf Hitlers Sturmfahnen. In : Sozialistisch-Akademische Rundschau ,
4. April 1931 , 42 f. ; vgl. auch : Christian Stifter , Kurzcharakteristik der Quellenlage zu Leben und Werk
von Wolfgang Speiser. In : Volker Otto / Erhard Schlutz ( Hrsg. ), Erwachsenenbildung und Emigration.
Biographien und Wirkungen von Emigrantinnen und Emigranten (= Tagungsprotokoll der 12. Konferenz
des Arbeitskreises zur Aufarbeitung historischer Quellen in der EB , hrsg. v. DVV ), Bonn 1999 , 119 f.
1259 Wagner , Von der Hochschülerschaft Österreichs zur Österreichischen Hochschülerschaft , a. a. O., 81.
1260 Kurt Bauer , „Kalkulierte Eskalation. Antisemitische Ausschreitungen an den Wiener Universitäten und
Hochschulen in den frühen 1930er-Jahren“. Vortrag bei dem Workshop „Alma mater antisemitica“ ( 15.–
16. Juni 12012 ) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Ich danke an dieser
Stelle Herrn Dr. Kurt Bauer für die freundliche Zurverfügungstellung des unpublizierten Vortragsma-
nuskriptes , das in Folge in überarbeiteter Fassung in einem Sammelband erscheinen wird. Vgl. dazu
auch : http://www.kurt-bauer-geschichte.at/PDF-Materialien/Vortrag_Kalkulierte_Eskalation.pdf
1261 Nach mehrere „Saalschlachten“ und Prügelszenen zwischen jüdischen beziehungsweise sozialdemokra-
tischen Studenten und Nationalsozialisten in Innsbruck und Wien , bei denen Studierende vor den Au-
gen der anwesenden Polizei zusammengeschlagen wurden , ohne dass diese eingriff , steigerten sich diese
Ausschreitungen ab 1932 zu gezielten „pogromartigen Krawallen“, bei denen im Mai 1933 nicht nur
teure Laboreinrichtung Ziel der nationalsozialistischen Aggression waren , sondern durch Einsatz von
Knüppeln und Totschlägern auch 21 teils schwer Verletzte zu verzeichnen waren , wobei der Wiener
Polizeipräsident Franz Brandl ( bald darauf NSDAP-Mitglied ) die Tatenlosigkeit der Exekutive mit der
Hochschulautonomie rechtfertigte. Vgl. Kurt Bauer , Lueger und die Lausbuben. In : Die Presse , 27. April
2012 ; zu den Uni-Krawallen 1932 , der vorübergehenden Schließung der Universität Wien samt Neben-
gebäuden ( 26.10–30. 11. 1932 ) der Auflösung der Deutschen Studentenschaft und die Unterstellung der
Österreichischen Hochschülerschaft unter „Sachwalterschaft“ siehe im Detail : Wagner , Von der Hoch-
schülerschaft Österreichs zur Österreichischen Hochschülerschaft , a. a. O., 90 ff.
1262 Tatsächlich verdeutlichen neuere Forschungen , dass die Universität Wien Mitte der Zwanzigerjahre be-
reits eine regelrechte „Hochburg des Antismitismus“ war. Nicht zuletzt waren es heimlich agierende pro-
fessorale Kreise , wie etwa die inoffizielle Professorenclique „Bärenhöhle“ – ein der Anschlussbewegung
der „Deutschen Gemeinschaft“ nahestehendes Zweckbündnis deutschnationaler Professoren und CV-
Angehöriger –, die geheime Absprachen trafen , um die Universität „judenrein“ zu machen beziehungs-
weise jüdischen Wissenschaftern die universitäre Karriere nach Möglichkeit nachhaltig zu verbauen. Die
„Zerstörung wissenschaftlicher Excellenz an Österreichs Hochschulen“ begann , wie Klaus Tascher jüngst
dargelegt hat , „nicht erst 1934 oder 1938 [ … ] , sondern bereits in den 1920er-Jahren.“ Vgl. Klaus Ta-
schwer , Hochburg des Antisemitismus. In : Der Standard , 12. Juni 2012. Im Detail : Klaus Taschwer , Die
Bärenhöhle und ihr langer Schatten. Über das Wirken und Nachwirken einer geheimen antisemitischen
Professorenclique an der Universität Wien nach 1918. Vortrag bei dem Workshop „Alma mater antise-
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741