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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Zu diesem Zeitpunkt zeigten sich die zuständigen Militärs allerdings kaum sonderlich
an Fakten und Zahlenmaterial in Bezug auf die Entnazifizierung interessiert – man ver-
wies diesbezüglich lapidar auf einen in Vorbereitung befindlichen vertraulichen Report
seitens des Counter Intelligence Corps ( CIC – 430th Detachment ). Die Offiziere der
Education Division , die zum Teil selbst Universitätsprofessoren waren beziehungsweise
universitären Hintergrund hatten ,1318 zeigten sich in ihrem Bericht indes zunächst von der
Geschichte der Universität Wien beeindruckt und gaben einen Überblick über den organi-
satorischen Aufbau sowie den Staus quo der Institute und Laboreinrichtungen.
Hinsichtlich der Entnazifizierung , die zur Zeit die „Effizienz“ der Fakultäten „untermi-
nieren“ würde , plädierte die Education Division , da der „strong spirit of ‚Austria for Austri-
ans‘ “
– sozusagen die Gegenreaktion auf den früheren „Pan-Germanismus“
– innerhalb der
gesellschaftlich-politischen Elite ohnedies stark ausgeprägt sei , für eine „middle-position“,
mit anderen Worten : für eine pragmatische Lösung.1319 In der zitierten Besprechung in-
formierte der Rektor den Stellvertreter von Oberst William B. Featherstone , Major Leigh
M. Lott , über Zusammensetzung und Tätigkeit der Sonderkommission im Staatsamt , der
dies „befriedigt“ zur Kenntnis nahm. Auf Wunsch des US-Offiziers händigte Rektor Ada-
movich , der nach dem Wortlaut der ursprünglichen Entwürfe der politischen US-Säube-
rungslisten aufgrund seiner Ämter und Funktionen in der Zeit des Austrofaschismus nach
1945 keine Leitungsfunktion mehr hätte einnehmen können ,1320 diesem eine Liste der
als „Clearinghouse des Geistes“ war es , „starke Bindungen mit den Vereinigten Staaten“ herzustellen.
Nach 1945 wurde das Institut wieder gegründet und veranstaltete Hochschulkurse für Amerikaner und
verhalf „jungen Österreichern zu einer ‚American experience‘.“ Vgl. Wilhelm Schlag , Das Amerika-
Institut und der Studentenaustausch zwischen Österreich und den USA. In : Austro-American Institute
of Education ( Amerika-Institut ). 50 Jahre im Dienste des kulturellen Austausches zwischen Österreich
und den U. S. A., 1926–1976 , [ o. O. ] , 23.
1318 Neben dem erwähnten William B. Featherstone und Thomas E. Benner ( 1894–1979 ), ebenfalls Professor
für Erziehungswissenschaft und Dekan des „College of Education“an der University of Illinois ( 1931–
1945 ) auch Samuel H[ oward ] Williams ( 1893–1968 ) Professor für Zoologie an der Universität Pitts-
burgh ; Williams folgte am 30. Juni 1947 als Chef der Education Division auf Thomas Benner ; darüber
hinaus war zum Beispiel Major George Selke Rektor des St. Cloud State Teacher’s College in Minnesota.
1319 Recordings of the U. S. Department of State relating to the Internal Affairs of Austria 1945–1954 ( Mi-
krofilm-Bestand / Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ), Decimal File , Reel 6 , Major Leigh
M. Lott , Internal Affairs Division / Education Branch , USFA , Report of First Visit to the University of
Vienna [ 26. September 1945 ] , 14. Oktober 1945 , 6.
1320 Ludwig Adamovich ( 1890–1955 ), promovierter Jurist , 1914–1918 Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg ,
zuletzt als Oberleutnant ; zunächst auf Berufung Bundeskanzler Michael Mayrs im Verfassungsdienst
des Bundeskanzleramtes tätig ; auf Anregung von Hans Kelsen habilitierte er sich 1924 als Privatdozent
für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien. Nach der a.o. Professur an der Deutschen
Universität Prag wurde Adamovich 1928 ordentlicher Professor an der Universität Graz , wo er 1932 / 33
als Dekan der juridischen Fakultät amtierte. 1934 wurde er ordentlicher Professor an der Universität
Wien und 1935 / 36 ebenda auch Dekan der juridischen Fakultät. Adamovich galt als Legitimist und –
trotz Nichtmitgliedschaft – der christlichsozialen Partei nahestehend. So arbeitete er maßgeblich an der
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741