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4. „The democratic way of life in Austria“
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aktuell lehrenden Professoren aus und erklärte , dass „die Vorlesungen vollkommen vom
nationalsozialistischen Gedankengut gereinigt worden sind.“1321 Des Weiteren fühlte sich
der Wiener Rektor auf die Frage , wie es um die „geistige[ … ] Arbeit der Studierenden“
bestellt sei , veranlasst , Major Lott mitzuteilen , dass es sich „bei vielen Professoren nur um
eine rein formale Zugehörigkeit zur NSDAP gehandelt habe“,1322 wobei er als Beispiel
just den Mediziner Leopold Schönbauer anführte. Schönbauer ,1323 in der Zeit des Austro-
faschismus Vorstand der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Lainz , war ab 1939
zum Vorstand der I. Chirurgischen Universitätsklinik avanciert und wurde unmittelbar
Formulierung der „ständisch-autoritären“ Verfassung vom Mai 1934 mit und bekleidete auch offizielle
Ämter : von 1934–1938 gehörte er dem Staatsrat an , ab November 1934 war er zudem Mitglied des aus-
trofaschistischen Bundestags. Am 16. Februar 1938 wurde er als Justizminister in das Kabinett Schusch-
nigg IV berufen. Nach dem „Anschluss“ wurde Adamovich seiner Ämter und Funktionen enthoben und
in den Ruhestand versetzt. Siehe : Gertrude Enderle-Burcel , Christlich-Ständisch-Autoritär. Mandatare
im Ständestaat 1934–1938. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates , Bundeskulturrates
und Länderrates sowie des Bundestages. Hrsg.v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Wider-
standes , Wien 1991 , 37 f.
1321 UAW , Rektoratsakten , Akademischer Senat , 455–1944 / 45 , Gedächtnisprotokoll über die am Mittwoch ,
den 26. September 1945 stattgefundene Besprechung , 2. Erstmals zitiert wurde dieses Dokument von
Gernot Heiß , Wendepunkt und Wiederaufbau : Die Arbeit des Senats der Universität Wien in den Jah-
ren nach der Befreiung. In : Margarete Grandner / Gernot Heiß / Oliver Rathkolb ( Hrsg. ), Zukunft mit
Altlasten. Die Universität Wien 1945 bis 1955 , ( Querschnitte 19. Einführungstexte zur Sozial- , Wirt-
schafts- und Kulturgeschichte ), Innsbruck – Wien – München – Bozen 2005 , 30.
1322 UAW , Rektoratsakten , Akademischer Senat , 455–1944 / 45 , Gedächtnisprotokoll , a. a. O., 1 f.
1323 Leopold Schönbauer ( 1888–1963 ), geboren in Thaya , Niederösterreich , Sohn einer Ärztefamilie ; Schön-
bauer studierte Medizin an der Deutschen Universität Prag , wo er 1914 promovierte ; nach 1945 wurde
Schönbauer Leiter des „Allgemeinen Krankenhauses“. Nach einer Verwundung im Kriegsdienst wurde
Schönbauer 1916 einer mobilen militärischen chirurgischen Einsatztruppe der Klinik Eiselsberg zuge-
teilt ; 1919 wurde er Assistent bei Anton Eiselsberg. Nach seiner Habilitation ( 1924 ) wurde Schönbauer
in der Zeit des Austrofaschismus Leiter der Chirurgischen Abteilung im Krankenhaus Lainz. 1939
wurde er Vorstand der I. Chirurgischen Universitätsklinik im Wiener Allgemeinen Krankenhaus und
blieb in dieser Funktion über die gesamte Dauer des Krieges. Siehe : Gabriela Schmidt , „Schönbauer ,
Leopold“. In : Neue Deutsche Bibliographie , 23 , 2007 , 383–384 ; siehe weiters : Karl Heinz Tragl , Chro-
nik der Wiener Krankenanstalten , Wien – Köln – Weimar 2007 , 525 f. In einem von Univ.-Prof. Dr. P.
Fuchs verfassten Kurzbiografie findet sich kein Hinweis auf Schönbauers Tätigkeit während der NS-Zeit ,
jedoch eine geradezu heroische Darstellung seiner Persönlichkeit : „Schönbauer war eine starke , durch
Unerschrockenheit ausgezeichnete Persönlichkeit , die besonders in kritischen Situationen zur Geltung
kam. So ist Schönbauer 1945 die Rettung des Allgemeinen Krankenhauses zu verdanken. Er allein hatte
damals die zurückweichenden deutschen Truppen davon abgehalten , das Allgemeine Krankenhaus als
Kampfstellung zu mißbrauchen und er allein war es , der wenige Stunden später mit aller Entschie-
denheit den Eroberern entgegengetreten war , um sie mit vollem Erfolg in ihre Schranken zu weisen.“
Siehe : http://www.meduniwien.ac.at/histmed/schoenbauer_biographie.htm [ Zugriff 20. 9. 2011 ]. Aus
Anlass seines 100. Geburtstages wurde Schönbauer 1988 eine Sonderpostmarke ( Nennwert 4 österrei-
chische Schilling ) gewidmet ; auf dem Eintrag auf www.aeiou.at findet sich ebenfalls keinerlei Hinweis
auf Schönbauers berufliche Tätigkeit zwischen 1938–1945.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741