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4. „The democratic way of life in Austria“
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den Professorenkollegen Lindner und Kahr – beide hatten in der NS-Zeit die Funktion
eines Institutsvorstandes inne1331 – hätte er sich jedoch „stets verfolgter Personen ( Juden ,
Mischlingen , Antifaschisten ) angenommen“.1332
In den Apriltagen 1945 hatte Schönbauer als Oberstabsarzt dann noch quasi in letzter
Minute die Seite gewechselt , sich nach eigenen Angaben „unter persönlicher Lebensge-
fahr“ der Widerstandsbewegung angeschlossen und so das Krankenhaus sowohl gegen ein-
dringende SS-Truppen als auch gegen die Sowjets verteidigt , was dem Chirurgen – trotz
anonymer Anzeigen – dauerhaft ein weiter nicht hinterfragtes „großes Verdienst um Ös-
terreich“ sicherte.1333 Wie Arias schreibt , hatte Schönbauers „angebliche Involvierung in
den Widerstand [ … ] [ ihn , d. Verf. ] nicht davon abgehalten , für sechs seiner ehemaligen
Assistenten , die alle langjährige Mitglieder der NSDAP waren , einen Belassungsantrag zu
stellen und ihnen ihre Glaubwürdigkeit zu bestätigen , obwohl falsche Angaben hinsicht-
lich der Parteizugehörigkeit auf den Personalbogen verzeichnet waren.“1334
Major Lott zeigte sich über Schönbauer jedenfalls nur wenig oder eben nur einschlägig
informiert und würdigte dessen „große Verdienste“ „bei der Verteidigung des Allgemeinen
Krankenhauses gegenüber der SS“.1335
Der interne US-Bericht über die verhältnismäßig spät zustandegekommene erste Visi-
tation der Wiener Universität beinhaltet auch genauere Zahlen hinsichtlich der erfolgten
Enthebungen von Professoren an den Fakultäten der Wiener Universität , kommt dabei
aber
– im Unterschied zu den zitierten Passagen aus den Rektoratsakten
– trotz der beton-
ten Erfolgsmeldung über die durchgeführte Entnazifizierung zu einem deutlich anderen ,
geradezu widersprüchlichen Ergebnis ; danach waren sehr wohl zahlreiche Enthebungen
durchzuführen und unter den nunmehrigen Professoren befänden sich viele ehemals durch
die Nationalsozialisten Entlassene : “Comparative figures are submitted concerning full
and associate professors of the University [ of Vienna , d. Verf. ]. In interpreting these figures ,
it is not enough simply to note , that the present number of full and associate professors for
1945–46 represent only 50 % of the number for 1937–38. It must be remembered that many
of the present 66 Professors were dismissed by the Nazi Party and so were not members of
the 1944–45 faculty. By recalling this fact , one can comprehend the extent of the ‘liquidation’
of the 1944–45 faculty.”1336
1331 Siehe : Arias , Entnazifizierung an der Wiener Medizinischen Fakultät , a. a. O., 359.
1332 Ebd., Appendix A , 1.
1333 Arias , Entnazifizierung an der Wiener Medizinischen Fakultät , a. a. O., 359.
1334 Ebd.
1335 UAW , Rektoratsakten , Akademischer Senat , 455–1944 / 45 , Gedächtnisprotokoll , a. a. O., 2.
1336 Recordings of the U. S. Department of State relating to the Internal Affairs of Austria 1945–1954 ( Mi-
krofilm-Bestand / Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ), Decimal File , Reel 6 , Major Leigh
M. Lott , Internal Affairs Division / Education Branch , USFA , Report of First Visit to the University of
Vienna , [ 26. September 1945 ] , 14 October 1945 , 4.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741