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4. „The democratic way of life in Austria“
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entgegen gesetzte Tendenzen ablesen.1361 Faktum ist aber , dass sowohl Fischer als auch
Hurdes – und hier schlagen durchaus parteipolitische Positionen durch – die „prioritäre
Auseinandersetzung mit Schulthemen und die Marginalisierung des Hochschulbereichs“1362
geradezu festschrieben ; nicht zuletzt hatte Fischer bereits zur Zeit seines Moskauer Exils ein
„Volksbildungsministerium“1363 konzipiert , in dem hochschulpolitische Belange kaum ein
Rolle spielten.1364 Sektionschef Edwin Zellwecker vom Unterrichtsministerium , der bereits
in der Ersten Republik als Volksbildner aktiv gewesen war , bemühte sich hingegen anlässlich
einer ersten Rektorenkonferenz im Oktober 1945 , „möglichst viele Hochschullehrer“ für
Veranstaltungen „im Rahmen der Volksbildungsstätten“ zur „Hebung des allgemeinen kul-
turellen Niveaus“1365 zu gewinnen. So sollten künftig an jeder Hochschule Listen aufliegen ,
in die sich alle Professoren , Dozenten und Assistenten mit Namen und Wohnadresse ein-
tragen sollten , die zur Übernahme eines Vortrages oder einer sonstigen Mitwirkung bereit
wären. Die Initiative Zellweckers fand vor dem Hintergrund der Feiern zum festlich began-
genen 50-jährigen Jubiläum1366 der „Volkstümlichen Universitätsvorträge“1367 statt – einer
unter anderem von Ernst Mach mitinitiierten Volksbildungsinitiative , die Vorträge und Kur-
se für Hörerinnen und Hörer aller Fakultäten ( primär außerhalb der Universität ) anbot.1368
Als ein Beispiel für die von Staatssekretär Fischer mitinitiierte bildungspolitische Ver-
nachlässigung der Universitäten und Hochschulen zu Beginn der Zweiten Republik , die
auch von seinen Unterstaatssekretären1369 weitgehend mitgetragen wurde ,1370 lässt sich an
1361 Namentlich sei an dieser Stelle auf Sektionschef Otto Skrbensky verwiesen , der die Sonderkommission
Sektion Hochschulen im Unterrichtsministerium leitete und damit für die Entnazifizierung der Univer-
sitätsprofessoren zuständig war ; auf ihn wird weiter unten noch etwas ausführlicher Bezug genommen.
1362 Oliver Rathkolb , Die Universität Wien und die „Hohe Politik“ 1945 bis 1955. In : Grandner / Heiß / Rath-
kolb ( Hrsg. ), Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945 bis 1955 , a. a. O., 40 bzw. 48.
1363 Stumpf , Ernst Fischer als Staatssekretär für „Volksaufklärung , Unterricht und Erziehung und Kultusan-
gelegenheiten“ ( 1945 ). Bd. I , a. a. O., 157.
1364 Bezeichnenderweise war es auch Unterstaatssekretär Karl Lugmayer ( ÖVP ), der für den Kontakt mit
den Hochschulen und Universitäten zuständig war.
1365 UAW , Rektoratsakten , Akademischer Senat , 455–1944 / 45 , Protokoll der 17. Sitzung des Akademischen
Senats der Universität Wien , 2. Oktober 1945 , 3.
1366 Ernst Fischer und Ludwig Adamovich hielten aus diesem Anlass Festreden. Siehe : Die Wiener volks-
tümlichen Universitätskurse. Ansprache anlässlich der Fünfzigjahrfeier im Auditorium Maximum am
13. Oktober 1945 von Rektor Adamovich. In : Akademische Rundschau , 1. Jg., Folge 3 , 1945 , 8.
1367 Vgl. dazu u. a. Hans Altenhuber , Universitäre Volksbildung in Österreich 1895–1937 , Wien 1995 ; wei-
ters Christian H. Stifter , „Geistige Stadterweiterung“. Eine kurze Geschichte der Wiener Volkshoch-
schulen , 1887–2005 (= Enzyklopädie des Wiener Wissens , Bd. III ), Wien 2005.
1368 Vgl. auch : UAW , Dekanatsakten , Phil. Fakultät , 1482–1946 / 47.
1369 Dies waren neben Karl Lugmayer der betagte sozialdemokratische Schulreformer und Leiter des „Ver-
eins Freie Schule“ ( 1905 ff. ) Josef Enslein ( 1870–1952 ) und der aus Schruns stammende DDr. Ernst
Hefel ( 1888–1979 ), der allerdings für Kultusangelegenheiten zuständig war.
1370 Gegenüber einem sozialdemokratischen Freund hatte Ernst Fischer , wie Martin F. Herz berichtete ,
halb scherzhaft gemeint , dass die ( bildungs )politischen Positionen von SPÖ und KPÖ größtenteils
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741