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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
dieser Stelle anführen , dass er erst im Dezember 1945 die Säuberung der großen Bibliothe-
ken Österreichs
– der Nationalbibliothek , der Universitätsbibliotheken in Wien , Graz und
Innsbruck sowie der Studienbibliotheken in Linz , Salzburg und Klagenfurt – von natio-
nalsozialistischer Literatur anordnete ,1371 obwohl bereits im Oktober dieses Jahres , noch
dazu vom sowjetischen Vertreter im Alliierten Rat , die Entfernung sämtlicher derartiger
Literatur aus allen Bereichen zur Sprache gebracht worden war.1372
Zur Frage der Entnazifizierung des Universitätsbetriebes hatte sich Fischer , der eine
über die Parteiengrenzen hinausgreifende , grundlegend antifaschistische , demokratiepo-
litische Integration geradezu beschwor ,1373 zumindest 1945 öffentlich kaum geäußert und
in den Sitzungen des Kabinettrates einen rhetorisch-dialektischen Standpunkt eingenom-
men ; dieser österreichspezifische , moderate und pragmatische Zugang ist – wenngleich
nicht ganz so geschliffen
–, durchaus bei Parteienvertretern aller Couleur anzutreffen : Be-
siegelt mit dem „Blut unsterblicher Opfer“ und getragen vom „Bündnis zwischen Volk und
Intelligenz“, sollten die gesellschaftliche Institution Universität als das „geistige Zentrum
Österreichs“1374 und das Kulturleben allgemein trotz „ernsthafter“ Säuberung „einen mög-
lichst geringen Schaden“1375 erleiden und insbesondere die Universität zu einem „Vorpos-
übereinstimmten : „You mean , you like our program and wouldn’t mind going along with us , but you
just don’t believe we aren’t agent of the Russsians.“ Recordings of the U. S. Department of State rela-
ting to the Internal Affairs of Austria 1945–1954 ( Mikrofilm-Bestand Institut für Zeitgeschichte der
Universität Wien ), Decimal File , Reel 1 , Maj. Martin F Herz to Political Divsion USACA , „Views
of State Secretary Ernst Fischer“ ( 2nd Report ), 10. August 1945 , 1. Gemeinsam engagierten sich
Ernst Fischer , Staatskanzler Renner und Unterstaatssekretär Enslein im Rahmen der Lehrerausbil-
dung , indem sie beispielsweise laufend Vorträge am Pädagogischen Institut hielten. Vgl. Wiener Mo-
nat , 26. November 1945 , 3.
1371 Universitätsarchiv Wien ( UAW ), Dekanatsakten der Phil. Fakultät , Zl. 571–1945 / 46 , Säuberung der
Bibliotheken , 7. Dezember 1945.
1372 Bezeichnenderweise konnte aber in allen folgenden Sitzungen des Exekutivkomitees des Alliierten Ra-
tes bezüglich eines Literaturreinigungsgesetzes keine Einigung erzielt werden
– unter anderem vertraten
die US-Vertreter den Standpunkt , dass die Entnazifizierung der Literatur alleinige Angelegenheit der
österreichischen Regierung sei , sodass es trotz der seit März 1946 existierenden Regierungsvorlage zu
keinem eigenen Gesetz kam. Vgl. Gerhard Renner , Entnazifizierung der Literatur. In : Meissl ( Hrsg. ),
Verdrängte Schuld – verfehlte Sühne , a. a. O., 211 ff.
1373 Am 1. Mai 1945 hielt Ernst Fischer , der in der Ersten Republik selbst an Volkshochschulen vorgetragen
hatte , als Staatssekretär für Unterricht und Volksbildung die Eröffnungsrede in der Volkshochschule
‚Volksheim‘ Ottakring. Darin betonte er , dass zum Schutz des Friedens , der Freiheit und des Wiederauf-
baus „die Österreicher aller Parteien und Weltanschauungen einen unzerstörbaren Block bilden“ müssen.
Zit. nach : Robert Stumpf , Ernst Fischer als Staatssekretär für „Volksaufklärung , Unterricht und Er-
ziehung und Kultusangelegenheiten“ ( 1945 ). Versuch einer politischen Biographie unter struktur- und
institutionsgeschichtlichen Gesichtspunkten. Bd. I , Dipl.-Arb., Univ. Wien 1997 , 31.
1374 Ernst Fischer , Für Freiheit und Vernunft. Ansprache an der Universität zur Eröffnung der volkstümliche
Hochschulkurse ( Schriftenreihe „Neues Österreich“, Heft 1 ), Wien 1945 , 12.
1375 Protokolle des Kabinettsrats der Provisorischen Regierung Karl Renner 1945. Bd. III : Protokolle des
Kabinettsrats 12. September 1945 bis 17. Dezember 1945. Hrsg. v. Gertrude Enderle-Burcel u. Rudolf
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741