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4. „The democratic way of life in Austria“
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Ausgehend vom schwerwiegenden Verdacht des Wahlbetruges mit NS-Wählerstimmen
bei der ersten Nationalratswahl am 25. November 19451395 artikulierte sich vermehrt auch
harsche Kritik an der Art und Weise , wie die Entnazifizierung von den verantwortlichen
österreichischen Stellen gehandthabt wurde. Das Exekutivkomitee des Alliierten Rates
beschloss eine Resolution , mit der sich die alliierten Mächte ab sofort das Recht ein-
räumten , Entlassungen von Angestellten im Bereich von Regierung oder Wirtschaft aus-
zusprechen , sofern diese ein Naheverhältnis zum Nationalsozialismus aufwiesen.1396 Des
Weiteren wurde ein „Allied Denazification Bureau“1397 als Kontrollgremium eingerichtet.
Dessen Kompetenz bezog sich aber nicht auf alle Besatzungszonen und hatte lediglich die
Funktion , die Entnazifizierungstätigkeit der Regierung Figl zu supervidieren. Wie sich bei
der Durchsicht der Protokolle des Alliierten Rates zeigt , trat dieses Gremium allerdings
kaum in Erscheinung.
Am 19. Jänner 1946 kam es schließlich zur Einrichtung eines von den Alliierten zwar
nicht dezidiert geforderten – zumindest findet sich dazu kein Hinweis in den Akten –,
sicherlich aber erwünschten ministeriellen Entnazifizierungskomitees.1398 Dass sich die
Installierung dieses Komitees der Initiative Figls verdankt haben soll ,1399 scheint aufgrund
eine Kürzestzusammenfassung des mündlich vorgetragenen Reports ) findet sich im EXCO-Protokoll
4. Oktober 1945. Allied Commission for Austria , Executive Committee ( EXCO ), Mikrofilm Österrei-
chische Nationalbibliothek ( ÖNB ), Reel 1 of 22 , De-Nazification. Oral report by committee chairman ,
August 1945–Dezember 1945.
1395 So wurde unmittelbar nach der ersten Nationalratswahl vom 25. November 1945 , aus der die ÖVP als
stimmenstärkste Partei hervorgegangen war , im Exekutivkomitee des Alliierten Rates die umgehende
Einrichtung eines eigenen Sub-Komitees fixiert , das den stattgefundenen Wahlbetrug ( „electoral fraud“ )
und „the manner in which the Austrian authorities apply legal sanctions in respect of electoral fraud“
kontrollieren bzw. examinieren sollte. Weiter heißt es an dieser Stelle : „It will examine the report on the
proceedings instituted against NSDAP party members , who voted fraudulently [ … ]. It will take all ne-
cessary steps that careful examination be made of all other documents in the possession of the Austrian
Government dealing with known cases of NSDAP party members participating in the elections , and
who have not been handed over to justice.“ Allied Commission for Austria , Allied Council ( ALCO ),
Mikrofilm Österreichische Nationalbibliothek ( ÖNB ), ALCO / P( 45 )40 , Reel 1–23 , May 1945–Feb.
1946 , Plan for the study of illegalities in the Austrian elections , 16. Dezember 1945 , 1.
1396 ÖNB , Allied Commission for Austria , Executive Committee ( EXCO ), EXCO / P( 46 )17 , Reel 2–15 , Jan.
1945–May 1946 , Denazification of Austrian Government machinery , 23. Jänner 1946 , 1.
1397 Vgl. Robert Knight , Britische Entanzifizierungspolitik 1945–1949. In : Zeitgeschichte , 9–10 / 1984 , 293.
1398 Im Protokoll des Allliierten Rats steht zu lesen , dass das Komitee auf Initiative des Bundeskanzlers
eingerichtet worden war. Den Vorsitz des ministeriellen Denazifizierungskomitees hatte Bundeskanzler
Figl inne ; als Mitglieder gehörten ihm ferner an : Vizekanzler Schärf ( SPÖ ), Innenminister Oskar Hel-
mer ( SPÖ ), Außenminister Karl Gruber ( ÖVP ) sowie Energieminister Karl Altmann ( KPÖ ). Allein
die personelle Zusammensetzung dieses Gremiums lässt erahnen , wie intensiv und nachhaltig die Agen-
den wohl diskutiert wurden. ÖNB , Allied Commission for Austria , Executive Committee ( EXCO ),
EXCO / P( 46 )17 , Reel 2–15 , Jan. 1945–May 1946 , EXCO / P( 46 )59 , 17th February 1946 , Programme
of the Austrian Government. Memorandum from the Austrian Chancellor , 2.
1399 Vgl. Pfefferle / Pfefferle , Glimpflich entnazifiziert , a. a. O., 19 f.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741