Seite - 329 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Bild der Seite - 329 -
Text der Seite - 329 -
329
Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
rungsmaßnahmen , mit einiger Beunruhigung und sparte dabei auch keineswegs mit of-
fener Kritik an so mancher der getroffenen Entscheidungen und der dafür angeführten
Begründungen.
Die Programmatik und das Ethos des Ministeriums ist im Geleitwort von Unterrichts-
minister Hurdes zum ersten Verordnungsblatt für den Dienstbereich des Bundesministeri-
ums für Unterricht Anfang Februar 1946 nachzulesen , wo es heißt , dass nach den „Jahre[ n ]
des Schweigens , des bitteren Duldens und des erbitterten Kampfes um Wiedergewinnung
einer freien österreichischen Heimat“ nun die Herausforderung im „notwendigen Neubau“
und vor allem im „Abbau alles Unösterreichischen , aller nationalsozialistischen , aller un-
humanen Tendenzen“1407 liege.
In einer Weisung des Bundesministeriums , das hinsichtlich der eigenmächtigen Vorge-
hensweise und der Arbeitsauffassung der Landes-Sonderkommissionen ernste Vorbehalte
hegte , wurde dringend darauf hingewiesen , dass eine „Wiederindienststellung ohne vor-
herige Genehmigung der Alliierten Behörde und Zustimmung des Bundesministeriums
für Unterricht [ … ] unbedingt zu unterlassen“ sei. Interessanterweise sah man sich im Mi-
nisterium auch veranlasst , eigens darauf hinzuweisen , „dass dieses Verbot der Wiederein-
stellung politisch belasteter Lehrkräfte sinngemäß auf deren Bezüge anzuwenden ist.“1408
Dass die Vertreter der Dienstbehörde im Verfahren vor den Landes-Sonderkommissio-
nen voreilig , oft auch den nachweislichen Sachverhalten zuwider regelrechte Freibriefe er-
teilten und damit Anlass zu Auseinandersetzungen gaben , geht auch aus einem Schreiben
von Minister Hurdes an den Stadtschulrat für Wien und an den Landesschulrat für Nie-
derösterreich hervor. Angesichts der Tatsache , dass in Presse und Öffentlichkeit – und
„ganz besonders von den Alliierten“ – ständig auf das „viel zu langsame Fortschreiten der
Säuberung des Beamtenapparates von nationalsozialistischen Elementen hingewiesen“
würde , betonte Unterrichtsminister Hurdes , selbst ein Opfer des NS-Regimes ,1409 dass
dieses „Problem nun endlich einmal mit aller Gründlichkeit angefaßt und gelöst wer-
den“ müsse. Entschieden und in differenzierter Argumentation verwahrte er sich gegen
eine Praxis voreiliger Exkulpationen auf Grund bloß behaupteter Mitarbeit in der Wider-
standsbewegung oder sonstiger Aktivitäten gegen den Nationalsozialismus und forderte
ein Mindestmaß an formal korrektem Vorgehen :
1407 Verordnungsblatt für den Dienstbereich des Bundesministeriums für Unterricht , Jg. 1946 , Wien am
1. Februar 1946 , 1. / 2. Stück , 1.
1408 ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BMfU , 2362 / IV / 1946 , Wiedereinstellung politisch belasteter Lehrpersonen
nach positiven Erkenntnissen der Sonderkommission I. Instanz , Wien am 22. Juni 1946 , 1. Kopie im
Besitz d. Verfassers.
1409 Felix Hurdes ( 1901–1974 ) war in den 1930er-Jahren als christlichsozialer Landesrat in der Kärntner Lan-
desregierung tätig. 1938 kam er zunächst ins Konzentrationslager Dachau und , nach seiner Freilassung
1939 , betätigte er sich im Widerstand. 1944 wurde er ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert. Vgl.
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/Archiv/197980_Der-Letzte-der-Generation–1945.html
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741