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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
„nur“ Blockwart war , NSDAP-Mitglieder , und darunter zu einem sehr großen Teil Illegale ,
beschäftigte.1430
Wie die zitierten Stellen belegen , waren die übergeordneten Instanzen im Unterrichts-
ministerium beziehungsweise im Bundeskanzleramt von der Entnazifizierungspraxis der
Sonderkommissionen – darüber kann auch der juristisch-sachliche Ton der Argumentati-
on nicht hinwegtäuschen
– gelinde gesagt vor den Kopf gestoßen. Abgesehen davon , dass
in zahlreichen Fällen die „ratio legis“ schlicht ignoriert wurde , indem einige Erkenntnisse
die Überschrift „Im Namen der Republik“ trugen – was nur im Fall gerichtlicher Urteile
zulässig ist
– oder grundlegende juristische Verfahrensbestimmungen außer Acht gelassen
wurden , wie zum Beispiel die Durchführungsverordnungen zum Verbotsgesetz , stellt der
Bericht der Sonderoberkommission im Bundeskanzleramt der gängigen Spruchpraxis je-
ner Zeit angesichts eigenmächtiger und sachlich nicht zu rechtfertigender Exkulpationen
ein rechtsstaatlich geradezu vernichtendes Urteil aus.
Nicht uninteressant scheint in diesem Zusammenhang , dass die Universität Innsbruck
in Person ihres Rektors Karl Brunner1431 im Mai 1946 , nachdem das ministerielle Entna-
zifizierungskomitee weitere personale Säuberungsmaßnahmen durchgeführt sehen wollte ,
offiziell protestierte , da man die Entnazifizierung für abgeschlossen hielt ; den nun „Ge-
fährdeten“ galt es , nach Ansicht Brunners , Schutz zuteil werden zu lassen.
Möglicherweise in indirektem Zusammenhang mit diesen Ereignissen kam es – mit
großer Verspätung und aller Wahrscheinlichkeit nach auf alliierten Druck hin – Anfang
Mai 1946 gegenüber dem Bundesministerium für Unterricht zu einem eher ungewöhnli-
chen Antrag der Landeshauptmannschaft Tirol. Man bat darum , für die „Behandlung der
ordentlichen und außerordentliche Professoren , der Landesschulinspektoren und Mittel-
schuldirektoren , sowie Beamte von der 3. Dienstklasse aufwärts“, eine Sonderkommission
des Unterrichtsministeriums für Tirol einzurichten.1432
schen Ministerratssitzungen , Werfen von Hakenkreuzfähnchen“ besonders gewürdigt ; ÖStA , ADM 04 ,
76660 ( Gauakt Wastl ), siehe dazu auch : Beförderungsanträge der „alten Kämpfer“: ÖStA , AVA , BMU
15 , NHM Fasz. 3207 , 313662 / 39 und Z / GK.6073-Id / 1940. Zit. nach : Maria Teschler-Nicola / Margit
Berner , Die Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums in der NS-Zeit. Berichte und
Dokumentation von Forschungs- und Sammlungsaktivitäten 1938–1945. In : Untersuchungen zur Ana-
tomischen Wissenschaft in Wien 1938–1945. Akademischer Senat der Universität Wien , Wien 1998 ,
333 ff. Vgl. auch : Annalen des Naturhistorischen Museums Wien , 74 , Wien 1970 , 687 f.
1430 ÖSTA , AdR , O2 Unterricht , Präsidium 1946 , GZ 401–1. 250 , Ktn. 5 , GZ 1030 / Präs / 46 , Museum :
Illegale Bedienstete. Auszug aus dem Quellenmaterial über die Nationalsozialistischen Bediensteten des
Naturhistorischen Museums in Wien , 23. Jänner 1947 , 1.
1431 Der Anglist Karl Brunner ( 1887–1965 ), von dem es in einem Gestapobericht vom Juli 1938 hieß , dass
er „fanatisch vaterländisch eingestellt“ sei , wurde nach dem „Anschluss“ als Rektor und Professor außer
Dienst gestellt. Vgl. Goller / Oberkofler , Universität Innsbruck , a. a. O., 34.
1432 Diese Sonderkommission des Unterrichtsministeriums für Tirol , für deren Vorsitz , wie das Ministerium
bat , man selbst „eine Persönlichkeit“ vorschlagen solle – diese wurde schließlich in Dr. Anton Petzer ge-
funden
–, wurde in zwei Senate geteilt , wobei Sektionschef Skrbensky für die Universität , Ministerialrat
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741