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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Institutsboden“,1476 an die das Institut 1939 nach „Arisierung“ der dort zuvor bestehenden
Privatwohnung1477 gewechselt hatte.
Am 26. April 1945 versammelten sich die „politisch nicht belasteten Mitglieder des Lehr-
körpers“ zur Wahl eines neuen Akademischen Senats. In einstimmiger Wahl wurden die
Universitätsfunktionäre
– Rektor Ludwig Adamovich , die Dekane der Fakultäten und deren
Stellvertreter
– gewählt.1478 Sowohl bei Rektor und Prorektor , beide prononcierte Proponen-
ten des „Ständestaats“, als auch bei den gewählten Professoren handelte es sich überwiegend
um Personen , die 1938 als „Anhänger und Funktionäre des autoritären Ständestaats entlassen
worden“1479 waren ; lediglich drei konnten auf persönliche Benachteiligungen durch das NS-
Regime verweisen. Einzelne Mitglieder waren bald nach ihrer Entlassung wieder in Dienst
gestellt worden , da sie „Fürsprecher unter den neuen Machthabern hatten“,1480 oder , wie
Gustav Entz ( dazu später ), nach wie vor „nur“ deklarierte Verteidiger eines „ideellen“ Nati-
onalsozialismus waren. Schon allein auf Grund dieser „Elitenrestauration“1481 im höchsten
universitären Gremium – die zweifellos nachhaltige Auswirkungen sowohl auf die Bestel-
lungspraxis als auch auf die Tradierung einer bestenfalls konservativ-deutschnationalen Wis-
senschaftskultur allgemein hatte
– ist der Einschätzung von Gernot Heiß völlig zuzustimmen ,
der die personelle Erneuerung als „ ‚Rückbruch‘ in den Austrofaschismus“1482 interpretiert.
1476 Vgl. Pumhösel , Ägyptologe , Antisemit , weit mehr als ein Mitläufer , a. a. O., 2.
1477 Die Wohnung in der Frankgasse 1 hatte ursprünglich Adolf Loos 1910 für das Ehepaar Arnim und Ro-
semarie Horowitz eingerichtet. Siehe dazu : Ruth Hanisch , Vom Wienerwald zum Central Park : Wiener
Wohnen im New Yorker Exil. In : Eva B. Ottilinger ( Hrsg. ), Wohnen zwischen den Kriegen. Wiener
Möbel zwischen den Kriegen 1914–1941 , Wien–Köln–Weimar 2009 , 131.
1478 Zum Prorektor gewählt wurde Richard Meister ; zum Dekan der kath.-theolog. Fakultät Karl J. Jellouschek
( Prodekan : Johannes Gabriel ); zum Dekan der evangel.-theolog. Fakultät Gustav Entz ; zum Dekan der
rechts- und staatsw. Fakultät Ferdinand Degenfeld-Schonburg ( Prodekan : Hans Mayer ); zum Dekan der
med. Fakultät Leopold Arzt ( Prodekan : Wilhelm Kerl ); zum Dekan der Phil. Fakultät Wilhelm Czermak
( Prodekan : Ernst Späth ); zum Senator der kath.-theolog. Fakultät : Ernst Tomek ; zum Senator der rechts-
und staatsw. Fakultät : Alfred Verdross ; zum Senator der med. Fakultät : Friedrich Reuter ; zum Senator der
Phil. Fakultät : Josef Keil. Universität Wien. Bericht über den Studienbetrieb , a. a. O., 6 f. Der Ägyptologe
und Professor der Afrikanistik Wilhelm Czermak ( 1889–1954 ) wurde 1952 zum Rektor der Universität
Wien ernannt und hatte , nach den persönlichen Worten des damaligen Prorektors Richard Meister , die
Agenden der Entnazifizierung und „Selbstreinigung“ der Universität mit „Umsicht und kollegialer Herz-
lichkeit“ gehandhabt. Vgl. Pfefferle / Pfefferle , Glimpflich entnazifiziert , a. a. O., 99. In den Zwanzigerjahren
war Wilhelm Czermak sowohl Mitglied der „Deutschen Gemeinschaft“ als auch der streng antisemitischen
und deutschnationalen Professorenclique der sogenannten „Bärenhöhle“. Siehe : Rosar , Die Deutsche Ge-
meinschaft , a. a. O., 32 bzw. Taschwer , Die Bärenhöhle und ihr langer Schatten , a. a. O., o. P. ( S. 7 ).
1479 Heiß , Wendepunkt und Wiederaufbau : Die Arbeit des Senats der Universität Wien in den Jahren nach
der Befreiung. In : Grandner / Heiß / Rathkolb ( Hrsg. ), Zukunft mit Altlasten , a. a. O., 27.
1480 Ebd., 27.
1481 Vgl. Oliver Rathkolb , U. S.-Entnazifizierung in Österreich zwischen kontrollierter Revolution und Eli-
tenrestauration ( 1945–1949 ). In : Zeitgeschichte , 11. Jg., 1984 , 302 ff.
1482 Heiß , Wendepunkt und Wiederaufbau : Die Arbeit des Senats der Universität Wien in den Jahren nach
der Befreiung. In : Grandner / Heiß / Rathkolb ( Hrsg. ), Zukunft mit Altlasten , a. a. O., 27.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741