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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Der Wortlaut dieses Schreibens ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich , weil daraus
hervorgeht , dass Skrbensky als der für die Hochschulen zuständige Leiter der „Sonder-
kommission I. Instanz“ im Unterrichtsministerium offenbar keine Evidenz über die lau-
fenden Verfahren in seinem Ressort hatte , und auch nicht über die „vorläufig“ im Dienst
Belassenen sowie jene , über die negativ entschieden und die daher zu entheben waren.
Zugleich stellte der Leiter der Überprüfungskommission aber – und das scheint doch
bemerkenswert – die Möglichkeit in den Raum , dass die Entscheidungen der Sonde-
roberkommission die erfolgten Enthebungen letztlich wieder „rechtskräftig“ rückgängig
machen würden.
An einem einige Tage später ausgesandten Rundbrief von Rektor Adamovich an alle De-
kanate lässt sich ablesen , dass es keinesfalls gängige Praxis war , nach negativen Entscheidun-
gen der Sonderkommission die „sofortige Enthebung aller in Betracht kommenden Lehr-
kräfte“ zu veranlassen.1503 Wie aus den Antwortschreiben der einzelnen Dekanatsleitungen
1503 So entschied der Akademische Senat , politisch „belastete“ Professoren , die nach einer positiven Beur-
teilung durch die Sonderkommission weiter lasen , in den Vorlesungsverzeichnissen namentlich nicht
zu nennen , sondern lediglich mit N. N. ( nach Nennung ) anzukündigen. Wie Prorektor Meister in einer
Sitzung verlautete , durften auf Weisung des Unterrichtsressorts insbesondere an der medizinischen Fa-
kultät unter den „belasteten Professoren“ nur drei namentlich angeführt werden , nämlich Schönbauer ,
Antoine und Patzelt ; Tassilo Antoine ( 1895–1980 ), NSDAP-Parteimitglied , Professor für Geburtshilfe
und Frauenheilkunde und Ordinarius an der Innsbrucker Universitätsklinik , der 1943 Nachfolger von
Amreich an der Wiener Universitätsklinik wurde ; Antoine habe sich lediglich als NS-Parteianwärter ge-
meldet , weil er „sonst nicht die Professur erlangen hätte können.“ Zudem habe Antoine „niemals den am
Anfang von Vorlesungen vorgeschriebene Hitlergruss geleistet und Frauen von Antifaschisten grund-
sätzlich kostenlos behandelt.“ Zit. nach : Entnazifizierung der Lehrkräfte der Universität Wien ( G.-Zl.
32141 / III–7 / 46 ). Enthalten in : Appendix „A“, Report of Quadripartite Sub-Committee on Denazifica-
tion in Austrian Universities , 7. September 1946. NARA II , RG 260 , a. a. O., 1. Isabelle Ackerl schreibt :
„Das offizielle Österreich wusste um seine Verdienste und hat mit zahlreichen Ehrungen dem Rechnung
getragen : Tassilo Antoine erhielt das Große Silberne Ehrenzeichen , das Ehrenzeichen für Wissenschaft
und Kunst ( 1972 ), den Ehrenring der Stadt Wien ( 1965 ), den Preis der Stadt Wien für Naturwissen-
schaften und die Billrothmedaille der Gesellschaft der Ärzte , deren Präsident und Ehrenpräsident er
jahrelang gewesen war.“ Zit. nach : Vereinigung der Alt-Hietzinger , http://www.alt-hietzinger.at/Archiv/
personen/tassiloantoine. [ Zugriff 23. 1. 2011 ]. Die NS-Behörden attestierten Antoine : „Er bietet die
Gewähr sich jederzeit rückhaltlos für den NS-Staat einzusetzen.“ Zit. nach : Arias , Entnazifizierung an
der Wiener Medizinischen Fakultät , a. a. O., 359. Antoine wurde wie Leopold Schönbauer angerechnet ,
sich bei der Verteidigung des Allgemeinen Krankenhauses verdient gemacht zu haben.
Hingegen habe Viktor Patzelt ( 1887–1956 ), Professor für Histologie und Embryologie , „sich gegenüber
Studierenden als Nationalsozialist gebärdet“. Allerdings sei er „der einzige verfügbare Supplent für die
beiden anatomischen Lehrkanzeln , da im Inland geeignete Anatomen nicht vorhanden sind.“ Zit. nach :
Entnazifizierung der Lehrkräfte der Universität Wien ( G.-Zl. 32141 / III–7 / 46 ). Enthalten in : Appen-
dix „A“, Report of Quadripartite Sub-Committee on Denazification in Austrian Universities , 7th Sep-
tember 1946. NARA II , RG 260 , a. a. O., 1. Am histologischen Institut habe Pazelt zudem eine „wahre
nationalsozialistische Zelle etabliert“. Vgl. Wiener Montag am 21. März 1946 , 4. Vgl. UAW , Senats-Sit-
zungs-Protokoll , 13. Sitzung , Akademischer Senat der Universität Wien , GZ. 568–1946 / 47 , 15. März
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741