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4. „The democratic way of life in Austria“
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Grund seiner breitangelegten Studien über ein für einen Historiker „untypisches theo-
retisches Rüstzeug verfügte“,1512 mit einem seltsam anmutenden , quasi „ideengeschicht-
lichen“ Entschuldigungsargument zu entlasten , dessen Kern die ‚Anschlussidee‘ weiter
nicht in Frage stellte : Zwar sei Brunner NSDAP-Mitglied gewesen , aber er habe , so die
Begründung der Sonderkommission , den „Beitritt deshalb vollzogen , weil er irrtümlich
[ sic ] , wie er jetzt einsieht , in der Annexion Österreichs die Verwirklichung des Anschlus-
sidee sah“.1513 Allerdings sprach sich im Fall Brunners ( oder auch im Fall Walter Goldin-
gers )1514
– anders als etwa im Fall Heinrich Fichtenaus1515
– selbst Skrbensky gegen seine ,
also Brunners Verwendung aus , bis er 1948 schließlich fünfzigjährig vorzeitig pensioniert
wurde.1516 Ein möglicher Grund , warum Brunner trotz des für ihn positiven Gutachtens
der Sonderkommission nicht rehabilitiert wurde , mag , wie Gernot Heiß wohl zur Recht
vermutet , darin gelegen sein , dass Brunner als Protestant nicht in die „einflussreichen ka-
tholisch-konservativen Netzwerke eingebunden war.“1517
Auf Basis derartiger Begründungen ließ sich freilich nahezu alles irgendwie rechtfertigen
beziehungsweise exkulpieren und so verwundert es kaum , dass es nicht allzu lange dauern
sollte , bis dann auch Leute wie der „illegale“ Volkskundler und Leiter der „Lehr- und For-
1512 1939 war Brunners Werk „Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte
Österreichs im Mittelalter“ erschienen , das 1941 den „Verdun-Preis“ erhielt. Pfefferle / Pfefferle , Glimpf-
lich entnazifiziert , a. a. O., 90.
1513 ÖSTA / ADR , 04 , BKA Liquidator 1045–1946 , Unterricht ( 1- ) 5700–9400 , GZ 6422 , Otto Brunner ,
Erkenntnis vom 7. Mai 1946 , Sonderkommission I. Instanz , unter Vorsitz , von Hans Kenda , Beisitzer
Havers und Rohracher.
1514 ÖSTA / ADR , Staatskanzlei ( BKA ), Sektion I., Präsidium , Ktn. 3 , Zl. 261–500 , 1945 , Bundeskanzler-
amt betref. Verfahren bei der Sonderkommission I. Instanz Archivrat Dr. Walter Goldinger. Wegen der
„schweren Belastung“ Goldingers wurde dessen sofortige Enthebung vom Dienst veranlasst. Allerdings
war der Historiker und Archivar Goldinger ( 1910–1990 ) bereits 1957 Präsident des Verwaltungsge-
richtshofes , 1973 bis 1975 nahm er schließlich die Position des Generaldirektors des Österreichischen
Staatsarchivs ein.
1515 Nachdem zuvor bereits die Sonderkommission I. Instanz zu einem positiven Bescheid gelangt war , ergab
das Verfahren der Überprüfungskommission unter Vorsitz von Skrbensky bezüglich der Lehrbefugnis
des Mediävisten Heinrich Fichtenau , dass dieser im Mai 1938 zwar um Aufnahme in die NSDAP an-
gesucht hatte , jedoch nie aufgenommen bzw. dessen Aufnahmeansuchen durch die NS-Reichsleitung
am 26. Oktober 1940 zurückgestellt worden war. Da sich Fichtenau „überhaupt nur deshalb um die
Aufnahme in die Partei beworben hatte , um die ihm drohende Entfernung vom Institute zu verhin-
dern“, sonst aber „stets eine dem Nationalsozialismus abholde Einstellung annahm“ wurde Fichtenau
kurzerhand für politisch „einwandfrei“ befunden. UAW , Dekanatsakten Phil. Fakultät , 2004–1946 / 47 ,
Erkenntnis der Überprüfungskommission beim Bundesministerium für Unterricht betref. Dr. phil Hein-
rich Fichtenau , 28. Juli 1947 , 1 f.
1516 Vgl. Gernot Heiß , Von der gesamtdeutschen zur europäischen Perspektive ? Die mittlere , neuere und
österreichische Geschichte sowie die Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien 1945–
1955. In : Grandner / Heiß / Rathkolb ( Hrsg. ), Zukunft mit Altlasten , a. a. O., 190 f.
1517 Heiß , Wendepunkt und Wiederaufbau. In : Grandner / Heiß / Rathkolb ( Hrsg. ), Zukunft mit Altlasten ,
a. a. O., 191. Zit. nach : Pfefferle / Pfefferle , Glimpflich entnazifiziert , a. a. O., 91.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741