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4. „The democratic way of life in Austria“
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Im Folgenden geht es freilich nicht darum , die in sich komplexe Causa Winter in allen
Details nachzuzeichnen – die Verhinderung seiner Habilitation in der Ersten Republik
wurde von Robert Holzbauer bereits detailreich rekonstruiert ;1586 es geht auch nicht dar-
um , das letztendliche Scheitern seiner Bemühungen für eine Berufung auf den Lehrstuhl
für Soziologie der juridischen Fakultät der Universität Wien nach 1945 zu rekapitulieren
–
auch das wurde bereits dargestellt. Von Interesse im hier behandelten Kontext ist , wie und
in welcher Form Winters Bemühungen um eine rasche Rückkehr nach Kriegsende von
österreichischen und amerikanischen Stellen Rechnung getragen wurde , was im Folgen-
den unter Einbeziehung einiger neuer amerikanischer Dokumente dargestellt werden soll.
Der gläubige und streitbare Katholik Ernst Karl Winter , langjähriger Legitimist , Soziolo-
ge , Schriftsteller , Leiter des Verlages „Gsur & Co.“1587 und dritte Vizebürgermeister von Wien
in der austrofaschistischen Ära ,1588 konstatierte nach Durchsicht des Lehrpersonals der juri-
dischen Fakultät in einem Antwortschreiben an seinen Freund Viktor Matejka am 25. März
1946 , dass sich an der „Alma Mater nichts geändert hat , woran wohl auch die unausgenützte
kurze Herrschaft der Linken mitschuldig ist“.1589 In diesem Brief wettete er darauf , „dass
1586 Zu Winters Biografie allgemein sowie insbesondere zu seinem verschleppten Habilitationsverfahren vgl.
Robert Holzbauer , Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ). Materialien zu seiner Biographie und zum konser-
vativ-katholischen politischen Denken in Österreich 1918–1938 , Diss., Univ. Wien 1992 , 161 ff. ; wei-
ters : Ders., Ernst Karl Winter und die Legitimisten. In : „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Hrsg. v.
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Ausgewählt , bearbeitet und zusammengestellt
von Heinz Arnsberger , Winfried R. Garscha und Christa Mitterutzner , Wien 1938 , 33 ff. ; Ders., Ernst
Karl Winter. In : Friedrich Stadler ( Hrsg. ), Vertriebene Vernunft. Bd. II. Emigration und Exil österrei-
chischer Wissenschaft , Wien – München 1988 , 458–462.
1587 Winters 1930 gegründeter Verlag publizierte
– teils unter Pseudonymen
– u. a. auch scharf antinationalso-
zialistische Propagandaschriften wie z. B. Zyrill Fischer ( d. i. Johann Fischer ), „Die Hakenkreuzler ( 1932 ,
329 S. ), Ders., „Die Nazisozi“ ( 1932 , 111 S. ), Thomas Murner ( d. i. Alfred Missong ), „Der Nazispiegel“
( 1932 , 111 S. ), Ders., „Das Tagebuch der nationalen Revolution“ ( 1933 ) oder den Roman von Hermy-
nia zur Mühlen , Unsere Töchter die Nazinen ( 1935 ). Vgl. Reinhard Müller , Für Österreich ! Ernst Karl
Winters Verlag Gsur & Co., Wien , 1930–1939. In : Newsletter – Archiv für die Geschichte der Soziolo-
gie in Österreich , 1998 , Heft 17 , 18 f. ; vgl. weiters : Murray G. Hall , Österreichische Verlagsgeschichte
1918–1938. Bd. II : Belletristische Verlage der Ersten Republik , Wien – Köln – Graz 1985 , 178–192.
1588 Auf Drängen von Dollfuß , mit dem Winter während des Ersten Weltkriegs im selben Regiment war ,
übernahm er nach dem Februar 1934 das Amt des 3. Vizebürgermeisters von Wien , mit dem „Spezial-
auftrag“, die „Kooperation“ zwischen Arbeiterschaft und autoriärer Regierungsdiktatur Dollfuß herzu-
stellen. Winter scheiterte und musste , als strikter Nazigegner , – eingeleitet durch das Juli-Abkommen
1936 zwischen Schuschnigg und Hitler –1937 letztlich demissionieren. Vgl. U. S. Office of Strategic Ser-
vices. Foreign Nationalities Branch Files 1942–1945 , Ernst Karl Winter an Office of Strategic Services ,
15. August 1942 , Curriculum Vitae , a. a. O., 3 f. Zum quasi vorprogrammierten Scheitern Winters als
Vermittler und „Brückenbauer zum Austromarxismus“ siehe im Detail : Pepper , Ernst Karl Winter und
die Sozialdemokratie , a. a. O., 150 ff.
1589 Zit. nach : Österreicher im Exil. USA 1938–1945. Eine Dokumentation. Bd. 2. Hrsg. v. Dokumentations-
archiv des österreichischen Widerstandes. Einleitungen , Auswahl und Bearbeitung : Peter Eppel , Wien
1995 , 726 ff.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741