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4. „The democratic way of life in Austria“
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hungsweise seine wissenschaftliche Eignung mit hanebüchenen Einwänden in Frage gestellt
worden , wobei sich neben Hold-Ferneck insbesondere Spann , der als Lehrstuhlinhaber für
Soziologie ( in völkisch-ständischer Auslegung )1603 in Winter einen fachlichen Konkurren-
ten und „nationalpolitischen“ Gegner sah , in die Quere legte.1604 Hingegen trifft zu , dass
Winter , nach den langjährigen Querelen schließlich Spann und die Fakultät dafür kriti-
sierte , keine andere soziologische Methode ( als die Spannsche , universalistisch-völkische
Ständelehre ) zulassen zu wollen , womit er einen willkommenen Anlass lieferte , sein Ha-
bilitationsgesuch auf Grund mangelnder persönlicher Eignung abzuweisen.1605
Aus der verzerrten Sachverhaltsdarstellung , die das Professorenkollegium am 25. Feb-
ruar 1946 als Replik auf Winters persönliches Ansuchen bei Unterrichtsminister Hurdes
um Erteilung der Venia für Soziologie an das Ministerium retournierte , wird deutlich ,
dass sich die geistig-ideellen Kräfteverhältnisse an der juridischen Fakultät kaum geändert
hatten und man Winter , in direkter Anknüpfung an die Ablehnung von 1935 , neuerlich
verhindern wollte. Das Scheitern des Habilitationsansuchens in der Zwischenkriegszeit
wurde mit Verweis auf die Abschrift erneut gänzlich dem „Verhalten des Habilitations-
werbers“ zugeschrieben , weshalb ihm von der Fakultät seinerzeit die „persönliche Eignung
abgesprochen“1606 worden war. Damit schien sich nach 1945 , unter nunmehr gänzlich ver-
änderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen , eine Wiederholung jenes geradezu gro-
tesken Beispiels einer reaktionären Wissenschaftskultur abzuzeichnen.
Nachdem ihm bereits im Oktober 1936 sein ehemaliger Universitätslehrer Hans Kelsen ,
der Ernst Karl Winter während eines Aufenthaltes in den USA besuchte , eindringlich zur
Emigration geraten hatte ,1607 war Winter mit seiner Familie unmittelbar nach dem „An-
schluss“ 1938 über die Schweiz in die Vereinigten Staaten emigriert : „[ … ] I left my country ,
because I did not want to be a citizen of Greater Germany in the world struggle which lay
ahead.“1608 Hier arbeitete er als Berater des Guardian und lehrte auf Einladung von Alvin
Johnson1609 bis ins Frühjahr 1942 als „Assistant Professor“ für Soziologie an der Graduate
1603 Vgl. Karl Bruckschwaiger , Othmar Spann. Ein österreichischer Vertreter der konservativen Revolution ?
In : Benedikt et al. ( Hrsg. ), Verdrängter Humanismus. Bd. V , a. a. O., 468 ff.
1604 So drängte Spann , der insbesondere in Winters deklariert proösterreichischer Haltung ein Habilitations-
hindernis sah , bereits 1931 gegenüber Dekan Verdross auf eine Beendigung des Habilitationsverfahrens
für das Fach Soziologie. Vgl. Holzbauer , Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ), a. a. O., 170.
1605 Ebd., 175.
1606 UAW , Personalakt Ernst Karl Winter / 23 , Abschrift Zl. 1 aus 1936 , 1.
1607 Bader , Ernst Karl Winter und die Versöhnung der politischen Lager , a. a. O., 373.
1608 U. S. Office of Strategic Services. Foreign Nationalities Branch Files 1942–1945. Ernst Karl Winter an
Office of Strategic Services , 15. August 1942 , Curriculum Vitae , a. a. O., 1.
1609 Der Leiter der New School for Social Science , Alvin Johnson , hatte Winter , neben Erich Hula und
dem Kelsen-Schüler Felix Kaufmann , bereits unmittelbar nach dem „Anschluss“ als Lehrkraft ins Auge
gefasst , was u. a. durch die direkte Empfehlung des Theologen Reinhold Niebuhr noch forciert wurde.
Vgl. Johannes Feichtinger , Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der
Emigration 1933–1945 , Frankfurt a. Main – New York 2001 , 316.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741