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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Faculty der renommierten New School for Social Research in New York. Der Grund für
sein erzwungenes Ausscheiden aus der New School für Social Science , das für die Dauer
der Jahre danach im US-Exil die äußerst bescheidene Existenz eines Privatgelehrten zur
Folge hatte , war Winters Aussage nach seinem Beharren , Österreicher zu bleiben , das
heißt sich nicht einbürgern lassen zu wollen , geschuldet , wie er es selbst 1952 darstellte.1610
Ob es tatsächlich Winters Ablehnung war , die ihn seinen Job an der New School kostete ,
sei dahingestellt ; immerhin hatte er 1942 in seinem an den US-Militärgeheimdienst ge-
richteten Lebenslauf formuliert : „In spite of my honest intention of becoming an Ameri-
can citizen , thus far I am still an Austrian , and one who knows something of Austria , her
civilization , culture , people , psychology and economic conditions.“1611
Laut einem Bericht des Office of Strategic Services ( OSS ) wurde Winter , der sich –
um seine politische Unabhängigkeit zu bewahren – trotz seiner acht Kinder geweigert
haben soll , eine andere Universitätsstelle beziehungsweise einen Job im War Department
anzunehmen , aus folgendem Grund entlassen : „he was too Austrian for an American
institution.“1612 Damit ist freilich angedeutet , dass es sich tendenziell eher um inhaltliche
Probleme beziehungsweise um Differenzen hinsichtlich der wissenschaftlichen Arbeits-
auffassung und der kulturellen Umgangsformen gehandelt haben mag , als um staatsbür-
gerschaftliche formale Hürden.
Der Aussagewert des zitierten OSS-Berichts ist quellenkritisch allerdings doch etwas
in Zweifel zu ziehen , da Winter dezidiert und mehrfach gegenüber US-Stellen seine
Mitarbeit und Expertise angeboten hat. Seine mehrfachen Bemühungen , unter anderem
dem Office of Strategic Services ,1613 dem US-Secretary of War , Henry L. Stimson bezie-
hungsweise dem US-State Department seine Mitarbeit zur Rekonstruktion Österreichs
anzubieten , blieben jedoch ohne Ergebnis. So schrieb Winter diesbezüglich im bereits
zitierten Schreiben an James Riddleberger im März 1945 : „Principally , I have offered my
1610 UAW , Personalakt Ernst Karl Winter / 23 , Brief Winters an Dekan Theodor Puetz vom 21. Novem-
ber 1955 , 2. Zum anderen sah sich Winter an der von deutschen Emigrés dominierten Einrichtung
Ressentiments gegenüber seiner kritischen Behandlung des Deutschnationalismus ausgesetzt. Was
letztlich den Ausschlag für seine Entlassung gab , ist unklar. Vgl. Holzbauer , Ernst Karl Winter
( 1895–1959 ), a. a. O., 357.
1611 U. S. Office of Strategic Services. Foreign Nationalities Branch Files 1942–1945. INT–4AU–159 , Ernst
Karl Winter an Office of Strategic Services , 15. August 1942 , Curriculum Vitae , a. a. O., 1.
1612 U. S. Office of Strategic Services. Foreign Nationalities Branch Files 1942–1945. INT–10EU–310. In-
teroffice Memo. Office of Strategic Services , Sgt. Friedinger to Mr. Dewitt C. Poole , 4 Feburary 1944 ,
1. Der Bericht irrt hinsichtlich des Datums von Winters Demissionierung von der New School of Social
Research , indem sie dieses auf Frühjahr 1943 verlegt.
1613 U. S. Office of Strategic Services. Foreign Nationalities Branch Files 1942–1945. INT–4AU–159 , Ernst
Karl Winter an Office of Strategic Services , 15. August 1942 , a. a. O., 1. Hierin bietet sich Winter mit
folgenden Worten an : „Moreover , I am ready at any moment to prepare for anyone interested in this
matter [ „the ideological situation concerning the Austrian problem“, d. Verf. ] a special memoir which
would illuminate the situation up to date.“ Ebd.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741