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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Darauf hingewiesen , dass „unfortunately too many Austrians had too willingly fought in
the German ranks“, habe Winter entgegnet , dass daraus keineswegs die moralische Ver-
pflichtung zu Opferleistungen erwachse , da die Alliierten
– bei dieser Pointe argumentierte
Winter wohl aus einer historisch weit ausholenden Perspektive1633
– deutlich mehr für den
„Anschluss“ verantwortlich zu machen seien als die Österreicher selbst. Die Intention der
Moskauer Deklaration , die österreichische Bevölkerung zum Widerstand zu bewegen und
sie damit in die alliierte Kriegsführung miteinzubeziehen , nannte der deklarierte Pazifist
kurzerhand „immoral and criminal“. Im Wortlaut des Dossiers wird Winter des Weiteren
mit folgenden , geradezu prognostischen Worten zitiert :
“If the Moscow signatories think that the Austrians will be incited to guerilla warfare and
sabotage by the Moscow Declaration , they are mistaken. The Austrians are smart and have a
keen sense of politics. They are going to wait for the invasion and will hide in their basements
when the war comes to the country. They are not going to spill their blood unnecessarily.”1634
Derartige Wortspenden wurden vom US-Geheimdienst zwar zweifellos als interessante
Information über die innere Einstellung prominenter Emigrés gewertet – dokumentierte
Werthaltungen , die nach Kriegsende in Österreich womöglich weit verbreitet sein konn-
ten –, erfreut war man über derartige „Attitüden“ aber keineswegs , nicht zuletzt deshalb ,
weil sich darin zuweilen auch antiamerikanische Ressentiments widerspiegelten :
“These are the opinions of individual refugees but they are , unfortunately , typical of many. The
over critical attitude of the refugees is strongest at the moment among Germans , then come
the Austrians , where , for instance , Ernest Hoor1635 and Frederick Taylor1636 are well-known
1633 Dies lassen zumindest seine Ausführungen zur Moskauer Deklaration vermuten , die Winter unter ela-
borierter und geradezu enthusiastischer Bezugnahme auf das in den 8 Punkten der Atlantik-Charta
von Roosevelt und Churchill proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker vortrug , und dabei den
historischen Bogen bis zu den 14 Punkten Woodrow Wilsons spannte. Winter rekapitulierte hier ei-
nen Artikel , den er zuvor im Journal of Cenral European Affairs ( April 1941 ) veröffentlicht hatte. Siehe :
U. S. Office of Strategic Services. Foreign Nationalities Branch Files 1942–1945. „Austria and the Eight
Points.“ Ernst Karl Winter an Office of Strategic Services , 15. August 1942 , a. a. O., 1.
1634 Office of Strategic Services. Interoffice Memo , Sgt. Friediger to Mr. DeWitt C. Poole , a. a. O., 13. Jänner
1944 , 3. U. S. Office of Strategic Services. Foreign Nationalities Branch Files 1942–1945. INT–33AU–120.
1635 Ernst Hoor , Mitglied des „Austrian National Committee“ und der liberal-unabhängigen „Austrian Ac-
tion“; Hoor war Jurist und junger Experte für Internationales Recht und
– laut Otto Habsburg
– „expert
on Danubian questions“, der bereits in Wien und Stockholm Professuren innegehabt hatte ; Hoor kam
1939 in die USA und lehrte dort an der Yale University. Siehe : Office of Strategic Services. Foreign Nati-
onalities Branch Files 1942–1945. Brief Survey of the history of the Austrian organisations in the United
States [ handschriftlicher Vermerk : submitted by Otto Habsburg ] , 14. April 1942 , a. a. O., 8.
1636 Frederick [ E. ] Taylor ( ursprünglicher Name : Friedrich Krejci ), erster Vorsitzender des konservativen
„Austrian National Committee“ in New York ; Taylor , ehemaliger Polizeibeamter , „Playboy und Globe-
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741