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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
my own country , Austria.“1639 Wie schon zuvor , stieß auch dieses Ansuchen , dem Winter
einen ausführlichen Lebenslauf beigelegt hatte , auf eine höfliche Absage.1640
Nach Berichten in US-Tageszeitungen , wonach die Möglichkeit für „Austrian refu-
gees“, in ihre Heimat zurückzukehren , nun in eine neue Phase eingetreten sei , wandte sich
Winter im Jänner 1946 neuerlich an Riddleberger , diesmal um Fragen der Einreisebestim-
mungen ( Pass , Visa , Staatsbürgerschaft ) abzuklären. Winter teilte Riddleberger mit , dass
er und seine Familie „are interested in returning to Austria , as soon as we technically are
allowed to do“ und bedankte sich für die Weiterleitung eines diesbezüglichen Schreibens
an Bundeskanzler Figl , „to whom I have been able to write in the meantime through or-
dinary mail.“1641
Im Jänner 1946 richtete sich Winter also direkt an Bundeskanzler Figl , dem er sei-
ne Dienste für das „Vaterland“ anbot und gleichzeitig den Wunsch nach einer universi-
tären Lehrtätigkeit äußerte , indem er „auf Wiener akademischem Boden an der festen
Neubegründung einer österreichischen Staatsgesinnung , eines österreichischen Volksbe-
wusstseins mitzuwirken“1642 anbot. Des Weiteren wandte sich Winter auch an Unter-
richtsminister Hurdes , den er darum ersuchte , zu veranlassen , sein Habilitationsverfahren
wiederaufzunehmen. Nachdem Hurdes aber von der juridischen Fakultät mit der genann-
ten „Abschrift“ einschlägig vorinformiert worden war , zeigte er sich zunächst wenig ge-
neigt , die Angelegenheit vor einer definitiven Rückkehr Winters nach Wien zu unterstüt-
zen.1643
Mit Beharrlichkeit erreichte Winter schließlich doch , dass sich Hurdes der Sache an-
nahm und angesichts der Obstruktionspolitik der Wiener juridischen Fakultät versuchte ,
Winter als Professor für Soziologie an die Universität Graz zu holen , was , in der Darstel-
lung Winters , allerdings durch das Finanzministerium mit Hinweis auf fehlende Mittel
blockiert worden sei.1644 Obwohl sich Hurdes weiter für Winters Habilitation an der Uni-
1639 Schreiben von Ernst Karl Winters an James Riddleberger , Department of State , Washington D.C.,
5. März 1945 , DÖW 21. 011 / 14.
1640 Schreiben von James Riddleberger an Ernst Karl Winter , 21. März 1945 , DÖW 21. 011 / 14.
1641 Schreiben von Ernst Karl Winters an James W. Riddleberger , Division for Central European Affairs ,
Department of State , Washington D.C., 11. Jänner 1946 , DÖW 21. 011 / 14 ; Winter unterschrieb den
Brief mit „former Vice-Mayor of Vienna“.
1642 DÖW 15. 060 / 21. Zit nach : Holzbauer , Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ), a. a. O., 365.
1643 Über die abermalige Verschleppung seines Habilitationsgesuches zeigte sich Winter in einem Brief an
Figl schwer enttäuscht und irritiert : „Ich dachte die Wiedergutmachung des mir durch fast 20 Jahre
zugefügten Unrechtes , das in der Verweigerung der venia legendi durch die an der juridischen Fakul-
tät herrschenden deutschnationalen Clique bestand , sei eine Selbstverständlichkeit. Aus Hurdes Brief
glaube ich entnehmen zu müssen , dass dem keinesfalls so ist und dass damit neuerdings Klauseln und
Bedingungen verbunden sind , die ich schon einmal abgelehnt habe.“ DÖW 15. 060 / 21. Erstmals zit.
bei : Holzbauer , Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ), a. a. O., 366.
1644 Ernst Karl Winter to James W. Riddleberger , Division of Central European Affairs , Department of
State , Washington D.C., 10. Februar 1948. Recordings of the U. S. Department of State relating to the
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741