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4. „The democratic way of life in Austria“
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Nicht zuletzt waren es anti semitische Verunglimpfungen , Anfeindungen und massi-
ve Schmähschriften seitens seiner Fach kollegen gewesen ,1675 die den Mitautor der Ös-
terreichischen Verfassung und Schöpfer des Verfassungsgerichts hofes1676 – neben seiner
Relegierung als Mitglied des Ver fas sungs gerichtshofes auf Lebenszeit infolge der neuen
autoritären Heimwehrverfassung von 1929 – einen Ruf nach Köln annehmen ließ.1677
Zwar kam Kelsen mit dieser Entscheidung einer späteren zwangs weisen Emigration aus
Österreich zuvor , nach der Macht ergreifung der National sozialisten 1933 wurde er aber in
Köln
– ebenso wie Max Horkheimer oder Karl Mannheim
– sogleich ‚beurlaubt‘ und ohne
Ansprüche abgesetzt.1678 Nach zwischenzeitlicher Lehrtätigkeit in Genf und einer 1936
angetretenen Professur an der Deutschen Universität Prag , die von nazistischen Attacken
und Drohungen völkischer Studenten gruppen gegen seine Person geprägt war , emigrier-
te Kelsen
– ebenfalls mit per sönlicher Visum-Hilfestellung durch Alvin Johnson von der
New School for Social Science in New York , deren Lehr auftrags-Offert er aber ablehnte ,
1675 So versuchten z. B. Alexander Hold-Ferneck , Ernst Schwind oder Fritz Sander , denen der liberale
und mit einer Reihe von Sozialdemokraten in intellektuellem Austausch stehende Kollege , der sich
noch dazu für die Habilitierung Max Adlers eingesetzt hatte , ein Dorn im Auge war , in hinterhältigen
‚Kampfschriften‘ die wissenschaftliche Seriosität der kelsenschen Rechtslehre in Zweifel zu ziehen , was
allerdings
– nicht zuletzt aufgrund der prompten Gegenwehr Kelsens
– misslang. Vgl. Métall , Hans Kel-
sen , a. a. O., 39 bzw. 56. Vgl. dazu weiters : Gerhard Oberkofler , Die Wahl von Leo Stern in die Deutsche
Akademie der Wissenschaften. In : Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft , 1 , 1999 , 1 ff. ; Rathkolb ,
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät , a. a. O., 197 f. ; [ Baron ] Alexander Hold-Ferneck ( 1875–
1955 ), Völkerrechtler und gleichaltriger Karrierekonkurrent Kelsens , 1922 Ordinarius für Völkerrecht
und Rechts philosophie , 1929 / 30 Dekan der Juridischen Fakultät ; 1932–34 Senator und 1934 / 35 Rek-
tor der Universität Wien. Er vertrat eine militant deutsch-völkische Position und stand dem National-
sozialismus schon vor 1938 nahe. So hatte er als Rektor die Machtergreifung Hitlers 1933 be grüßt.
Seine radikal anti semitische Grundhaltung dokumentiert sich darin , dass er mehrfach die Habilitierung
jüdischer Kollegen ( und Anhänger Kelsens ) hintertrieb. Im Herbst 1938 hatte Hold-Ferneck um Auf-
nahme in die NSDAP angesucht und war , obwohl gläubiger Katholik , aus der Kirche ausgetreten. Das
Erkenntnis des Entnazifizierungsverfahren der Sonderkommission des Unter richtsministeriums vom
8. März 1946 bescheinigte Hold-Ferneck die Gewähr , „jederzeit rück haltlos für die unabhängige Re-
publik Österreich eintreten“ zu wollen. Vgl. dazu : Jürgen Busch / Kamila Maria Staudigl-Ciechowicz ,
„Ein Kampf ums Recht“ ? Bruchlinien in Recht , Kultur und Tradition in der Kontroverse zwischen Kel-
sen und Hold-Ferneck an der Wiener Juristen fakultät. In : Szabolcs Hornyák / Botond Juhász / Krisztina
Korsósné Delacasse / Zuszsanna Peres ( Eds. ), Turning Points and Breaklines (= Jahrbuch Junge Rechts-
geschichte 4 ), München 2009 , 111 ff. und 131 ff. [ Ich danke an dieser Stelle Kollegen Mag. Jürgen Busch
herzlich für die Zurver fügungsstellung einer Kopie des Artikels ].
1676 Vgl. Gerhart Klaus Wielinger , Hans Kelsen. In : Wolfgang Mantl ( Hrsg. ), Politik in Österreich. Die
Zweite Republik – Bestand und Wandel (= Studien zu Politik und Verfassung 10 ), Wien – Graz 1992 ,
769 ; weiters : Métall , Hans Kelsen , a. a. O., 54.
1677 Betrieben hatte den Ruf der Kölner Rektor und „überzeugte Demokrat“ Fritz Stier-Somlo. Vgl. Ehs ,
Vertreibung in drei Schritten , a. a. O., 158 ; vgl. weiters : Métall , Hans Kelsen , a. a. O., 56 f.
1678 Siehe dazu : Oliver Lepsius , Hans Kelsen und der Nationalsozialismus. In : Walter / Ogris / Olechowski
( Hrsg. ), Hans Kelsen : Leben – Werk – Wirksamkeit , a. a. O., 273.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741