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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
nicht in Opposition zum Nationalsozialismus1707 –, sondern hatte sich , wie Oliver Rath-
kolb klar nachgewiesen hat , auch schon in illegalen NSDAP-Kreisen engagiert.1708 Eine
klare persönliche Stellungnahme oder deutliche Distan zierung zur NS-Zeit hat Verdross ,
der sich selbst nach Kriegsende zum NS-Gegner beziehungsweise zum „Opfer“ stilisierte
–
von halbherzigen Recht fertigungen ab ge sehen1709 – nie abgegeben ; immerhin hatte sich
für seinen universi tären Verbleib nach 1938 Wehrmachtsgeneral Alfred Jodl eingesetzt und
immer hin hatte Verdross 1943 per Führererlass das „silberne Treuedienstzeichen“ verlie-
hen bekommen.1710 Nach Beschluss des Fakultätsgremiums1711 wurde Kelsen am 28. April
1947 von Bundes minister Hurdes zum Honorarprofessor ernannt , in der Hoffnung , damit
würde Kelsen „die Möglichkeit gegeben werden , an unserer Fakultät wieder Vorlesun-
gen zu halten , was zweifellos von allen Kollegen und Hörern wärmstens begrüßt werden
würde.“1712
Nach einer Einladung der Universität Wien , Vorlesungen über „Probleme politischer
Theorie“ zu halten , wandte sich Kelsen schließlich im September 1947 an die Reorientation
Branch der Civil Affairs Division im Pentagon. In einem Schreiben gab Kelsen zu verste-
1707 In diesem Zusammemhang konstatiert Anthony Carty : „There is no doubt but that Verdross thought he
could work with National Socialists [ … ]. In particular the records available , mainly Nazi police archives ,
show that his scholarly work and academic and political activity were all closely scrutinized , leading to
the firm conclusion that Verdross was not of their society , albeit he could hardly be accused of being in
opposition to them.“ Anthony Carty , Alfred Verdross and Othmar Spann : German Romantic Nationa-
lism , National Socialism and International Law. In : European Journal of International Law , 6 , 1995 , 78 f.
Für diesen Literaturhinweis danke ich Herrn Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb.
1708 Rathkolb , Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät , a. a. O., 217 f.
1709 Vgl. Irmgard Marboe , Alfred Verdross
– Ein Mann des Widerspruchs ? Teil 1. Verdross’ Völker
rechts
theorie
vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus. In : Alfred Verdross
– Ein Mann des Widerspruchs ? Verdross
im Gefüge der Wiener Völkerrechtswissenschaft vor und nach 1938. In : Thomas Olechowski / Ilse Reiter et
al. ( Hrsg. ), Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht. Die Wiener Rechtswissenschaftliche Fakultät zwi-
schen 1938 und 1945 , Wien 2010 , 15 [ unver
öffen tlich
tes Manuskript. Für die Einsichtnahme sei an dieser
Stelle Kollegen Mag. Jürgen Busch herzlich gedankt ] ; in einer Beurteilung von Verdross’ Verhalten nach
dem Anschluss hatte der kom
missarische Dekan Ernst Schönbauer ge schrieben : „Nach dem Umbruche be-
nahm er sich zunächst radikal nationalsozialistisch. Als ich ihm aber freund schaftlich sagte , das passe nicht
für ihn , liess er davon ab und benahm sich seither würdig“. Zit. nach : Busch , Alfred Verdross , a. a. O., 33. In
den Erinnerungen von Joseph T. Simon wird Verdross’ im Hinblick auf seine Haltung gegenüber jüdischen
Studierenden entlastet , indem dieser schrieb , dass Verdross einer der wenigen Universitästprofessoren war ,
der jüdische Studenten bei Ausschreitungen an der Universität über die Hintertüre ins Freie verhalf. Vgl.
Joseph T. Simon , Augenzeuge. Erinnerungen eines österreichischen Sozialisten. Eine sehr persönliche Zeit-
geschichte. Mit einem Vorwort von Charles Gulick. Hrsg. v. Wolfgang Neugebauer , Wien 1979 , 82
1710 Vor diesem Hintergrund kommt Verdross’ Bemühen um Verleihung einer Honorar professur an Kelsen
eine unzweifelhaft psychologisch interessante Dimension zu. Busch , Alfred Verdross , a. a. O., 34 bzw. 36.
1711 UAW , Personalakt Hans Kelsen / 13 , Dekanat der Universität Wien an das Bundesministerium für Unter-
richt , Dek.Zl.50 aus 1142 aus 1947 , Antrag auf Erteilung der Hon. Professur an Prof. Kelsen , 28. April 1947.
1712 UAW , Personalakt Hans Kelsen / 13 , Prof. Dr. Hans Kelsen , Ernennung zum Honorarprofessor , Ab-
schrift der Begründung , a. a. O., 2.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741