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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
In seiner eigenen Darstellung hatte Ehrenhaft am 15. März 1946 vom Unterrichts-
ministerium eine formale Einladung zur Wiederaufnahme seines Ordinariats er halten ,1737
die er auch sogleich angenommen hatte.1738 Bei dieser formalen Ein ladung , die von der
Universität Wien befürwortet worden war , blieb es vorläufig auch , da Ehrenhaft seine
amerikanische Staatsbürgerschaft nicht aufzugeben bereit war , was aus öster reichischer
Sicht eine Formalhürde darstellte.
Tatsächlich hatte sich Ehrenhaft selbst bereits im Februar 1946 an die Universität Wien
gewandt und sich , neben dem Wunsch nach einer Rückberufung , auch für die Wieder-
errichtung des nach seiner erzwungenen Emigration aufgelösten III. Physikalischen Ins-
titutes ausgesprochen. Wie Skrbensky der Lehrkanzel für Physik im April mitteilte , käme
die Wiederrichtung des III. Physikalischen Institutes „dermalen nicht in Frage“ und wegen
des an Ehrenhaft zu erteilenden Lehr auftrages „wird ehes tens einem Antrag des Professo-
renkollegiums entgegen gesehen.“1739
De facto hatte die Universität Wien , nach der bereits ausgesprochenen Einladung an
Ehrenhaft und dessen Annahme der Rückberufung , Kontakt zu Albert Einstein auf-
genommen und bei diesem angefragt , wie er dessen Rückberufung einschätze ; dies wohl
nicht ganz ohne den Hintergedanken , dass sich Einstein
– der wegen Ehrenhafts mitun-
ter äußerst spekula
tiven wissenschaftlichen Arbeiten mittlerweile auf fachliche Distanz
gegangen war
– kritisch über seinen Kollegen äußern würde.1740
In einem Antwortschreiben im Mai 1946 teilte Einstein der Universität Wien mit ,
dass er Ehrenhaft immer hoch geschätzt hatte und dieser hinsichtlich seiner wissen-
schaflichen Kapa zität ein „fähiger Experi mentator“ sei , auch wenn „er [ … ] seine Expe-
rimente oft falsch deutet“. Darüber hinaus gab Einstein der Universität einen Fingerzeig ,
wie mit Ehrenhaft – „ein fähiger und seinem Fache erge bener Mensch , selbstständig ,
wenn auch etwas primitiv in seinem Denken und Urteile“1741 – am Besten zu verfah-
ren wäre ; dabei dürfte wohl auch eine persönliche Differenz des welt berühmten Physik-
Genies gegenüber seinem lang jährigen Freund für diese Ablehnungsunterstützung eine
Rolle gespielt haben :
„Ihr Problem , dessen Härte ich wohl fühle , wird dadurch erleichtert , dass er die Altersgrenze
erreicht haben dürfte. Ich würde ihn emeritieren und ihn einladen , ein Kolleg zu halten über
1737 Bundesministerium für Unterricht , Zl. 5763 / 111 / 4b / 46 , 15. März 1946. Zit. nach : NARA II , RG 260 ,
Education Division , Box 1 / 68 , Felix Ehren haft an das State Department , Passport Division , Washing-
ton D.C., 7. März 1947 , 1.
1738 UAW , Dekanatsakten , Phil. Fakultät , GZ 567–1945 / 46 , Schreiben von Skrbensky an das Dekanat der
Philosophischen Fakultät der Universität Wien , 23. Februar 1946.
1739 UAW , Dekanatsakten , Phil. Fakultät , 567–1945 / 46 , F. 1–2 , Z. 11041 / III–4b / 46 , Skrbensky an die
Philo so phische Fakultät der Universität Wien , Lehrkanzel für Physik , 10. April 1946.
1740 Vgl. Braunecker , Der andere Physiker , a. a. O., 105.
1741 Ebd.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741