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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Zudem zeigen sich bei den zuständigen US-Stellen in Österreich – hier besonders bei
den Offizieren der Education Division – mitunter bildungspolitische Austrifi
zierungs-
tendenzen ,1770 die im Zweifelsfall – selbst bei Urgenzen übergeordneter Stellen aus Wa-
shington – eher zu Kooperation und Konflikt vermeidung , als zu Kon fron tation oder gar
Intervention führten.
Dass die amerikanische Besatzungspolitik im Bereich der Rekonstruktion des Uni
versi-
täts wesens nicht nur wenig schlüssig und weitgehend unkoordiniert verlief , sondern wahr-
lich skurrile wissen schaftspolitische Blüten treiben konnte , zeigt sich an Aktivitäten wie
zum Beispiel der Tätigkeit der OMGUS-US-Field Information Agency , Technical ( FIAT ).
Im Februar 1947 hatte sich ein Vertreter der „amerikanische( n ) Stelle für wissenschaftliche
Forschung in den besetzten Gebieten Deutschlands und Österreichs“ an Rektor Adamo-
vich gewandt und ihm mitgeteilt , dass FIAT eine 50-bändige Publikations reihe zu je 200
Seiten vorbereitet , in der die naturwissenschaftlichen und medizini schen Ergebnisse der
„wichtigsten wissenschaftliche Forschungen im Deutschen Reich während der Jahre 1939 bis
1946 [ sic ] festgehalten werden“1771 sollten. Hinsichtlich der von amerikanischer Seite ge-
wünschten Mitarbeit österreichischer Gelehrter an diesem Projekt antwortete Adamovich
Mr. Miller von FIAT , dass er das „nicht für opportun halten würde , da die Mitarbeit öster-
reichischer Gelehrter an einer solchen , der deutschen Wissenschaft gewidmeten Publikati-
onsreihe leicht mißdeutet werden könnte.“1772 Daraufhin regte der Repräsentant der OM-
GUS-Stelle an , dass die österreichischen Wissenschafter in Eigenregie eine Publikation
herausgeben sollten , und zwar unter dem Titel „Austrian [ sic ! ] Science 1939–1945“;1773 die-
se sollte dann mit Unter stützung der amerikanischen Militärverwaltung gedruckt werden.
Von Major Ray von der USFA-Education Division bekam Rektor Adamovich umgehend
den Plan für die Herausgabe der „FIAT Review of Austrian Science 1939–1945“, wobei das
Wort „German“ lediglich handschriftlich gestrichen und durch „Austrian“ ersetzt worden
war.1774 Das Ziel des „Rückblickes“ quer durch alle naturwissenschaftlichen-medizinischen
Fachgebiete jener Jahre sollte paradoxerweise just darin bestehen , „die Verbindung mit der
internationalen Wissenschaft wieder herzustellen“, wie es im Wortlaut des Planes hieß.1775
1770 Der mittlerweile in der Ökonomie , der Politikwissenschaft oder auch im Bereich des Sportes weit hin
einge spielte Begriff „Austrifizierung“ meint hier nicht die quasi devote Unterordnung unter die Suprema-
tie einer Großmacht ( wie z. B. beim Begriff „Finnlandisierung“ ), sondern die prozess hafte Überformung
von andersartigen Werthaltungen , Einstellungen bzw. Verhaltens weisen durch öster reich s pezifische Ge-
pflogenheiten bzw. Interessens muster.
1771 UAW, Dekanatsakten , Phil. Fakultät , 858–1946 / 47 , Rektor Adamovich an den Dekan der Philoso phi-
schen Fakultät , 18. Februar 1947.
1772 Ebd.
1773 Ebd.
1774 Ebd., GZ461 aus 1946 / 47 , Rektor Adamovich an den Dekan der Philosophischen Fakultät , 19. Februar 1947.
1775 Ebd., Office of Military Government for Germany ( US ), Field Information Agency , Technical , Review of
Austrian Science , 1. Mai 1939–1. Mai 1946 , Plan und Aufgaben der FIAT Reviews ; FIAT c / o USFET ,
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741