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4. „The democratic way of life in Austria“
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Ein derart ‚salopper‘ Umgang mit der kaum zweieinhalb Jahre zurückliegenden NS-
Vergangen heit seitens amerikanischer Stellen
– auch wenn derartige Vorkommnisse wohl
eher Ausnahmen waren – war dem verantwortungs bewussten Neubeginn einer demo-
kratischen , strikt antifaschistischen Wissenschaftskultur sicher nicht besonders förderlich.
Ein nicht ganz uninteressantes Detail stellt in diesem Zusammenhang der Umstand dar ,
dass es der Zoologe und verantwortliche Leiter der US-Education Division in Öster
reich
war , der den Anatomischen Atlas des früheren NS-Rektors Eduard Pernkopf 1776 ameri-
kanischen Universitäten als großartiges Lehrbuch empfahl und zukom
men ließ.1777 Ohne
dass Williams1778 im Hinblick auf das dem Atlas zugrunde liegende Illustrationsmaterial
vorgeworfen werden kann , gewusst zu haben , was erst die Zeitgeschichteforschung vor ei-
nigen Jahren wieder ans Tageslicht brachte , wirft allein die Art und Weise , in der hier mit
dem höchsten ministerialen Wissen schafts beamten korres pondierte wurde , ein bezeich-
nendes Licht auf die für den bildungs politischen Neubeginn in Österreich maßgeblichen
US-Militärstelle ; immer hin war Pernkopfs NS-Vergangenheit wohl bekannt.1779 Bis Jän-
Frankfurt a. Main. Auffällig ist , dass bei der detaillierten Aufzählung der jeweiligen wissen schaftlichen
Fachgebiete , inklusive der namentlich angeführten Reviewer , im Bereich ( NS- )Medizin u. a. auch ein-
deutig schwer belastete „Forschungsbereiche“ wie beispiels weise Pathologie ( Einsatz der Pathologie im
Kriege , Traumen , Geschosswirkungen , Wundheilung , Effects of Bombing , Höhen flug / Höhenkrankheit ,
Hunger , Epidemics etc. ) mit aufgezählt wurden. Inwieweit das Projekt realisiert wurde , geht aus dem
Aktenverlauf im Universitätsarchiv Wien leider nicht hervor.
1776 Eduard Pernkopf ( 1888–1955 ), Wiener Anatom , trat im April 1933 der NSDAP bei und blieb wäh-
rend der Ver bots zeit Mitglied der SA Gruppe Hardegg. Im März 1938 wurde er umgehend zum
SA-Sanitäts-Ober sturmbannführer ernannt. Wie Ingrid Arias recherchierte , wurde Pernkopf be-
reits 1935 „in einem anonymen Schreiben als ‚Nazi durch und durch‘ “ charakterisiert. 1943 wurde
Pernkopf zum Rektor der Universität Wien ernannt. Arias , Entnazifizierung an der Wiener Medizi-
nischen Fakultät , a. a. O., 349.
1777 NARA II , RG 260 , EDU , Box 1 , Folder 1. W. S. McEllroy , Dean of the University of Pittsburgh , School
of Medicine , Pennsylvania , an Samuel H. Williams , Chief , Education Division United States Forces in
Austria / USACA , 28. Oktober 1948.
1778 Samuel H. Williams hatte in Berlin , Breslau , Italien und Jugoslawien studiert ; von 1922 bis 1942 war
er ordentlicher Professor an der Universität Pittsburgh und als Ehrenmitglied verschiedener wissen-
schaftlicher Gesellschaften auch in Europa gut vernetzt : so war Williams beispielsweise Mitglied der
Deutschen Entomologischen Gesellschaft oder der Linnean Society of London. Als Zoologe hatte er
zahlreiche wissenschafliche Expeditionen geleitet – so z. B. in die Dschungel von British Guinea , Ve-
nezuela , West Indien , zu den Südseeinseln oder zwischen 1925–1932 als Leiter der Amazonas- und
Orinoko-Expedition. UAW , Dekanatsakten , Phil. Fakultät , 2491–1 949 / 50 , Curriculum Vitae Prof. Dr.
Samuel H. Williams , 1.
1779 Ein zwar nebensächliches , aber keineswegs uninteressantes Detail ist in diesem Zusammenhang die
Tatsache , dass Pernkopfs „Topographische Anatomie des Menschen“ hinsichtlich dessen fachlich-anato-
mischer Qualität später just von einem amerikanischen medizinischen Illustrator verteidigt wurde : „Nazi
science and art of merit , regardless of its contribution to mankind , can be difficult to fully appreciate in
light of incredible cruelties the regime inflicted on Jews and others it considered its enemy. For this rea-
son Pernkopf’s Topographische Anatomie des Menschen will always be controversial and will , unfortunately ,
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741