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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Gerade so , wie uns in Amerika innere Wogen von Gefühlen beim Anblick der Freiheits-Statue
übermannen , da sie das Sinnbild der geistigen und sozialen Freiheit ist , haben Sie in Ihrem
Stephansdom und vielen anderen Gebäuden , die gegen den Himmel ragen
– gleich Stufen , die
dahin führen – Symbole einer hochentwickelten Kultur , welche die Hoffnungen , die Bestre-
bungen und das Trachten eines intelligenten und idealistischen Volkes aufrecht halten.
Österreich mit seinen majestätischen Bergen , seiner grossartigen Kunst und mit der schönsten Musik
der Welt , besitzt alle nötigen Voraussetzungen , um eine Atmosphere [ sic ] zu schaffen , in welcher
eine gequälte Menschheit ihr Gleichgewicht wieder erlangen und eine langersehnte Ruhe und
Sicherheit erreichen kann.
In Anerkennung von Österreichs kulturellem Aufbau und seines Beitrages zur Wissenschaft ,
Kunst und Musik , hat meine Regierung ihre Hand ganz spontan in wieder vereinter Freund-
schaft und sofort nach Beendigung eines unnützen und wertlosen Krieges ausgestreckt. In
Unterstützung dieser Freundschaft und wegen unserer Ehrfurcht für Österreichs angeborene Kultur
sind wir hier. Um diese Freundschaft zu fördern und um die wissenschaftlichen Verbindungen
wieder auf zunehmen , darum wurde ich hierher gesandt.“1815 [ Hervorhebungen d. Verf. ]
Es steht außer Zweifel : Williams fühlte sich in diesem operettenhaft weich ge zeichneten
Österreich , dem seine großartige Kultur ebenso wie seine majestäti
schen Berge angeboren
schienen , ebenso wohl wie in seiner Rolle und Funktion als Leiter der Education Division ,
die er persönlich zur Gänze auf freund schaftliche Kooperation hin anlegte und dabei dis-
sonante Momente des wissen schaftlich-kulturellen Wieder aufbaues erst gar nicht in Blick
nahm. So schloss er hinsichtlich der Universität mit hoffnungsfrohen Worten , die jedoch
nur sehr bedingt mit der Realität der damaligen Situation zu tun hatten : „Sicherlich wird
diese grosse Universität mit den Fähigkeiten ihrer grossen Geister ihren Teil für die Wie-
dergeburt des kulturellen Idealismusses [ sic ] beitragen.“1816
Einen spannenden Einblick in die Haltung und Wertschätzung der Education Division
gegenüber den österreichischen Universitäten bietet ein interner Report Samuel H. Wil-
liams zu „Austrian and American Education“, der vermutlich auf bereits ausgearbeiteten
Darstellungen seiner Vorgänger aufbaute. Spannend liest sich das Papier insofern , als der
die Universitäten betreffende Abschnitt primär auf die formale Organisationsstruktur und
die Autonomie der Universitäten Bezug nimmt und die österreichischen Universitäten
dabei im Vergleich zu den amerikanischen ganz klar als Vorbild ausgewiesen werden. Zum
einem attestiert Williams den Universitäten eine effiziente und ökonomische Planung , von
der amerikanische Universitäten lernen könnten ; darüber hinaus werde seitens der aka-
demischen Behörden ein respektvoller Umgang mit dem jeweiligen Universitätspersonal
gepflogen , der an vergleichbaren amerikanischen Einrichtungen in dieser Form selten zu
finden sei. Zum anderen
– und diese Einschätzung war eindeutig einer Außenperspektive
1815 Ebd., 3.
1816 Ebd., 4.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741