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4. „The democratic way of life in Austria“
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ohne jeden Bezug zu den realen Gegebenheiten und der politischen Vorgeschichte ge-
schuldet – sei das österreichische Universitätssystem weitaus weniger autokratisch als die
meisten amerikanischen Colleges , in denen der Präsident oder Vorsitzende die Macht habe ,
durch finanzielle Mittel politischen Druck auszuüben und so in die akademische Freiheit
der Professoren einzugreifen. Vor offensichtlicher Begeisterung darüber , dass es im Un-
terschied zu Amerika keine „overpaid athletic coaches“ gäbe , kommt Williams in seinem
unkritischen Lob der demokratischen Gegebenheiten an den Universitäten schließlich zu
einem deutlich verzerrten Bild der Realsituation an den österreichischen Uni versitäten , das
Fakten und Fiktionen
– womöglich auf der Grundlage eigener schlechter Erfahrungen in
den USA1817
– vermischt :
“There are no $ 30,000 a year Chancellors in Austrian universities , and a Rektor [ sic ] is elected
yearly by the various faculties. The Rektor receives only a small stipend in addition to this
regular salary and the position is one of sufficient honor to compensate for the administrative
duties it involves. Only outstanding scholars attain the honor of being elevated to its posi-
tion. [ … ] Furthermore , it removes the discouraging disparity between the salaries of scholarly
professors and those of high-paid Chancellors , which so frequently constitutes an injustice in
American universities.”1818
Soweit die vom dritten und letzten Leiter der US-Education Division in Österreich un-
terfertigte , insgesamt äußerst oberflächliche Einschätzung der hiesigen Universi
täten , die
zwar nicht unbedingt als repräsentativ für die US-Besatzungsmacht anzusehen ist , aber
in zumindest zweifacher Weise Wirksamkeit entfaltete : einerseits wurde auf Basis die-
ser tiefen Sympathie die Real situation in binnen-amerikanischen US-Reports tendenziell
weichge zeichnet , andererseits garantierte diese Haltung im Fall von Konflikten und An-
griffen wegen unzureichend durchgeführter Entnazifizierungsmaßnahmen
– wie noch zu
sehen sein wird
– gewissermaßen eine Pufferzone sowohl gegenüber russischen Forderun-
gen als auch gegenüber Kritik übergeordneter US-Behörden.
Ein frühes Beispiel für die Kooperation zwischen ameri
kani scher Besatzungs
macht und
Universität in unverfänglichen , die Fragen der Entnazi fizierung be ziehungs weise Reori-
entierung nicht einmal rudimentär betreffenden Bereichen der wissen schaft lichen Lehre
stellt die Einrichtung eines „Internationalen Instituts“ an der Universität Wien im August
1817 Tatsächlich stand Samuel H. Williams vor seinem Einritt in die USFA-Dienststelle in Pittsburgh als
Zoologe , Buchautor , Forschungsreisender und Universitätslehrer hoch im Kurs : so sollte er 1943 die
neuausgeschriebene und mit $ 4200 hochdotierte Stelle als Zoo-Direktor in Pittsburgh übernehmen ,
was infolge einer Malariainfektion letztlich scheiterte. Siehe dazu : „Pitt Zoologist sick : Can’t take Zoo
Post“. In : Pittsburgh Post-Gazette , 23. Mai 1941 , 13.
1818 NARA II , RG 260 , EDU-DIV , Box 5 / Folder 12 [ 7 / 18 / 5 / 5 / 3–4 ] , Samuel H. Williams , Chief Edu-
cation Division , „Austrian and American Education“, 10. März 1948 , 8.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741